Eine starke Frau, seit 105 Jahren
Isabella Paneutz ist die zweitälteste Augsburgerin. Als sie jung war, träumte sie von einem Leben in der weiten Welt. Und auch heute geht sie noch ihren Weg.
Sie ist 105 Jahre alt, aber die Frau weiß, was sie will. Zum Geburtstag musste ein neues Kleid angeschafft werden, knielang, bunte Blumen auf blauem Grund. Etwas Besonderes eben. Gutes Aussehen ist Isabella Paneutz wichtig. Jeden Morgen wählt sie selbst, welche Kleidung, welche Farbe zu ihrer Laune passt. Ist ihr danach, den ganzen Tag im flauschigen Morgenrock zu verbringen, geschieht das eben so. Wer über ihren Kopf hinweg bestimmen will, bekommt lauten Einspruch zu hören. Wer sich hingegen an ihre Spielregeln hält, kommt gut mit ihr klar.
„Das-macht-man-so-gehört-sich-so-Mantra“ hat Paneutz noch nie interessiert. Allgemeine Essenszeiten? Können gelten, müssen aber nicht. Sie isst, wenn sie Hunger hat. Dann schiebt sie ihren Rollator zum Kühlschrank, schnappt sich die Salami, nascht ein paar Scheibchen, pur auf die Hand und in den Mund. Bloß eines tut sie nie: zu viel essen. Disziplin und Selbstkontrolle sind ihr wichtig.
Übersetzerin für die Amerikaner
Isabella Paneutz ist eine starke, selbstbestimmte Frau, sie war es ihr Leben lang. Eine Frau, die – trotz Jahrgang 1911 – nicht den Eindruck macht, als sei sie je Nebenfigur im Leben eines anderen, sondern stets Regisseurin des eigenen Lebens gewesen. Als Hitler Geschichte war, arbeitete sie für die Amerikaner, erledigte Verwaltungsaufgaben am Gericht, stenografierte Prozesse und übersetzte die Aussagen der Beteiligten. Paneutz sprach fließend Englisch und Französisch, das hatte sie von den Klosterschwestern auf dem ,Lyceum‘ in Dillingen gelernt. Dort wuchs sie auf einem Bauernhof mit fünf Geschwistern auf. Aber Isabella Paneutz wollte mehr, sie träumte groß und zielte hoch, sie wollte wachsen und lernen. Also ging sie weg, raus aus der Provinz, hinaus in die Welt – nach Amerika!
Ihr erster Halt war Chicago, später New York, wo sie Büro- und Übersetzungsarbeiten für verschiedene Unternehmen erledigte. Das war in den 50er Jahren, sie schlug sich durch in einer von Männern dominierten Welt – als Frauen gerade einmal ein paar Jahrzehnte wählen durften, ansonsten aber damit zufrieden sein sollten, schön auszusehen, sich einen Mann zu angeln, Kissenbezüge zu sticken und den Kindern die Erdnussbutterbrote zu schmieren. Paneutz, eine Art bayerische Simone de Beauvoir (später lebte sie genau wie die Philosophin in Paris und hörte Vorlesungen an der Sorbonne), machte sich von niemandem abhängig, ließ sich nicht kleinhalten und versuchte nie, in die Norm zu passen.
Ihr Mann blieb erstmal in Augsburg
Selbst die Liebe konnte sie nicht auf ihrem Weg hindern. Ihren Willi, den sie während des Krieges kennengelernt hatte, ließ sie erstmal alleine in Augsburg zurück; sie wollte nunmal unbedingt in die USA. Später heiratete sie ihn und er durfte mit ihr zusammen verreisen; jedes Jahr waren sie unterwegs, besonders schwärmt die alte Dame von Rom und Teneriffa. Als Rentner verbrachten sie den Winter auf den Kanaren, im Sommer saßen sie in ihrem Garten in Bonstetten, dort hatten sie sich einen kleinen Bungalow gebaut. Im Jahr 1997 starb ihr Mann und vor sieben Jahren zog Isabella Paneutz um.
Sie lebt seither in der ambulant-betreuten Wohngemeinschaft „Labyrinthos“. Seit 2006 hat Claudia Jenewein, ihre Großnichte und einzige Angehörige, die Betreuung übernommen. Seit ihrem 95. Geburtstag will das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so richtig, die kleinen Irrungen und Wirrungen nehmen zu, das tägliche Zeitungslesen, Nachrichtengucken und französische Gedichte aufsagen klappt nicht mehr. Auch ihr geliebtes Kreuzworträtsel legt sie immer häufiger zur Seite.
Manchmal aber übersetzt sie noch den ein oder anderen Satz aus dem Englischen und Spanischen ins Deutsche; und das Singen geht leidenschaftlich! Deutsche Volkslieder und französische Chansons, am liebsten alleine unter der Dusche. In der Gruppe nämlich schert sie aus, sie folgt ihrem eigenen Rhythmus, an anderen orientieren ist nicht.
Medikamente braucht sie keine, Schmerzen hat sie nicht; Grippe, Husten, Schwindel kennt sie nicht. Lediglich zwei Oberschenkelhalsbrüche mussten in den letzten zehn Jahren geheilt werden. Ihr Geheimnis? Viel Obst, nicht rauchen, wenig trinken, das Auto des Öfteren gegen das Fahrrad eintauschen und im Besonderen: Sein eigenes Leben leben, niemals aufhören zu lernen, neugierig und offen für die Welt bleiben – in ebendiesem Moment.
„Kuchen macht dick“
Und auch wenn Isabella Paneutz sagt: „Ich bin so alt, wen kümmert denn schon mein Geburtstag? – den hatte ich vor 100 Jahren“, wird am Dienstag gefeiert, wie jedes Jahr. Mit einer zweistöckigen Sachertorte, bestückt mit Schornsteinfegern aus Marzipan. Sie will zwar nur ein kleines Stück essen – „Kuchen macht dick“ –, aber sie hat Gäste, mit denen sie teilen kann: ihre elf Mitbewohner mit Angehörigen, Claudia Jenewein mit Sohn und Tochter und der Oberbürgermeister. Vielleicht bringt er ja ihre Lieblingsblumen, Strelizien, mit. Der Bundespräsident hat bereits schriftlich gratuliert. Denn Isabella Paneutz ist eine von 40 Frauen in Augsburg, die älter als 100 sind (plus ein Mann). Sie ist die zweitälteste, eine Frau ist 106. Und Isabella Paneutz ist durch und durch ein besonderes Exemplar, nicht nur in Altersangelegenheiten eine Wucht.
Die Diskussion ist geschlossen.