Herr Gribl, was erwartet Augsburg im kommenden Jahr?
Für Kurt Gribl stehen in der Flüchtlingsthematik die schwierigsten Herausforderungen erst bevor. Was Augsburgs OB zum Thema Geldmangel, Wohnungsnot und Theatersanierung sagt.
Herr Gribl, vor drei Monaten haben Sie gesagt, man müsse dem Flüchtlingszustrom mit „kühlem Verstand und offenem Herzen“ begegnen. Hat sich daran was geändert? Inzwischen hat man den Eindruck, dass alle nur noch über die Belastungen sprechen...
Gribl: Die Aussage ist heute richtiger denn je. Die Formulierung offenes Herz bedeutet, dass wir den humanitären Bereich gut abdecken müssen. Die Leute, die hierherkommen, sind angemessen unterzubringen und zu versorgen. Die entsprechenden Verfahren müssen durchgeführt werden und das ehrenamtliche Engagement wird koordiniert. Das funktioniert in Augsburg super und darauf können wir stolz sein. Der kühle Verstand richtet sich darauf, dass wir weiterdenken müssen. Es trügt der Schein, wenn wir davon ausgehen, dass es damit getan ist, einen ordentlichen Job bei Aufnahme und Unterbringung zu machen. Das ist nur die Phase des Ankommens. Danach kommt eine noch viel größere Aufgabe.
Was muss dann gemacht werden?
Gribl: Die Qualität bei der Integration in Augsburg ist grundsätzlich hoch, darum funktioniert ja alles sehr gut. Aber wenn wir diese Qualität beibehalten wollen, ist die Frage, wie wir diesen Aufwand auf die Dauer leisten können, beispielsweise im Schulbereich. Schon in der Aufnahmephase müssen wir den Unterricht in Übergangsklassen sicherstellen. Vielleicht bekommen wir mit größter Mühe noch irgendwo eine oder zwei Klassen unter, aber mit jetzt 41 Klassen ist eine Grenze erreicht. Wir haben gar keine Räume mehr dafür.
Günstig wohnen ist ja ohnehin ein Thema. Wie spielt die Flüchtlingsthematik hier rein?
Gribl: Es ist utopisch, dass wir für einen ungebremsten Zustrom von Menschen Wohnraum schaffen können. Wir haben keine Grundstücke, die Stadt ist räumlich eingeschränkt, und bis ein Bebauungsplan steht, dauert es vier oder fünf Jahre. Und günstigen Wohnraum hat man dann immer noch nicht, weil die Standards bei Neubauten so hoch sind, dass die Miete über neun Euro pro Quadratmeter kostet. Es ist also unklar, wie diese Aufgabe gelöst werden kann. Ich bin auch gegen reinen Flüchtlingswohnbau. Das wäre ein Affront gegenüber denjenigen, die ohnehin schon Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben. Also müssen sich Rahmenbedingungen ändern.
Welche?
Gribl: Wenn ein Bürgermeister den Anreiz bekommen soll, günstigen Wohnraum zu schaffen, dann kann es nicht sein, dass er noch laufende Folgekosten, also die sogenannten Kosten der Unterkunft, tragen muss. Im Übrigen ist das kein reines Thema der Kernstädte, sondern der Regionen. Da spricht bislang keiner drüber.
Wie werden die Menschen, die jetzt in den Unterkünften leben, die Stadt mittelfristig verändern?
Gribl: Das ist schwierig zu sagen. Es ist unklar, welche Menschen mit welchem Hintergrund wie lange hierbleiben. Migrationsuntersuchungen legen nahe, dass Augsburg betroffen ist, weil wir schon eine Einwohnerstruktur mit vielkulturellem Hintergrund haben. Landsleute orientieren sich an Landsleuten, sodass ein Zuzug absehbar ist. Wenn dadurch keine Unwucht entstehen soll, muss noch wesentlich stärker im Bereich der Integration gearbeitet werden. Sprache, Vermittlung in Berufsausbildung und Arbeit sind hierfür die wichtigsten Voraussetzungen. Das sind keine Dinge, bei denen man ins Regal greift und sie rauszieht, weil man sie auf Vorrat hat. Wir müssen vordenken. Wenn die Verfahren abgeschlossen sind, und alle fordern ja gerade eine Beschleunigung, dann sind die Flüchtlinge auch unsere Bürger.
In Sachen Proteste ist es in Augsburg bisher recht ruhig. Bleibt das so?
Gribl: Ungerechtigkeitsgefühl ist immer Triebfeder dafür, dass man sich gegen Entwicklungen wendet. Wir achten deshalb darauf, die Unterkünfte auf alle Stadtteile zu verteilen, damit es keine Unwuchten gibt. Das lässt sich nicht vollständig durchhalten, aber wir versuchen es. Wie kippelig das ist, sieht man daran, dass es – Gott sei Dank noch wenig – Protest gegen einzelne Unterbringungen gibt, auf der anderen Seite aber auch Protest von Leuten, die sich gegen Abschiebungen wenden. Es ist die ganze Bandbreite der Positionierungen. Wir brauchen einen Korridor in der Mitte. Da sind wir wieder beim Stichwort „kühler Verstand“.
2016 werden die Finanzen kommunalpolitisch ein Thema werden. Müssen sich Bürger auf Grausamkeiten einstellen? Es gab ja erst einen warmen Geldregen aus München bei den Schlüsselzuweisungen.
Gribl: Nicht auf Grausamkeiten, aber schon darauf, dass wir die Grundstruktur korrigieren müssen. Es führt kein Weg daran vorbei. Die Schlüsselzuweisungen sind ja auch bedenklich, weil sie bestätigen, dass unsere Finanzstruktur schwach ist. Bei der Pro-Kopf-Steuerkraft sind wir im Vergleich mit anderen Städten ganz weit unten.
Also Gewerbesteuer und Grundsteuer rauf? Letzteres würde ja alle Bürger betreffen.
Gribl: Es ist zu einfach, sich nur auf die Einnahmen zu stürzen. Bei den Ausgaben gibt es 2016 nur unabweisbar nötige Investitionsprojekte wie die Ackermann-Brücke. Es wird das gemacht, was gemacht werden muss, und sonst nichts. Aber das reicht nicht. Wir werden in die Situation kommen, wo wir über das Steueraufkommen politisch verhandeln müssen. Die Regierung von Schwaben als Aufsichtsbehörde sagt ja auch, dass wir bei Gewerbe- und Grundsteuer im Vergleich zu anderen Städten hintendran sind. Und sie sagt: Der Freistaat zahlt euch doch keine Strukturhilfe, also „Sozialhilfe für Kommunen“, wenn ihr zu feige seid, euch wie andere Kommunen zu entwickeln. Darum wird man diese Themen debattieren müssen. Und diese Frage wird beim Etat 2016 eine größere Rolle spielen als bei den vorhergegangenen Haushalten.
Meinen Sie es diesmal wirklich ernst mit dem Sparkurs? Vor vier Jahren wurden schon einmal eiserne Sparrunden bei dem damals sogenannten KGSt-Prozess ausgerufen. Letztendlich war dann aber doch Geld für alles da, hatte man den Eindruck. Kann Politik überhaupt sparen oder ist „Freibier für alle“ nicht am Ende doch populärer?
Gribl: Das ist mir jetzt etwas zu einfach. Bei diesem Prozess ging es ausschließlich um den Verwaltungshaushalt. Man hat geschaut, wo man bei laufenden Ausgaben etwas sparen kann. Das zeigte Wirkung, aber es reicht nicht. Wir werden durch die Ausgaben im Sozialbereich überholt, die in den vergangenen zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen sind. Die Jugendhilfe ist einer der Schwerpunkte. Das ist eine gesetzliche Aufgabe, die wir erledigen müssen. Insofern wäre es ungerecht, zu sagen, die Verwaltung wirft das Geld raus und darum haben wir keines. Wir leben auf Sparflamme im Vergleich zu anderen Städten. Unsere Bevölkerung ist gewachsen, im Personalbereich der Verwaltung wird dieses Wachstum jedoch viel langsamer nachvollzogen.
Stichwort Theatersanierung: Glättet die Bürgerbeteiligung die Wogen oder steht ein Bürgerbegehren ins Haus?
Gribl: Das kann ich nicht ausschließen. Wir befinden uns gerade in der Phase der Bürgerbeteiligung, die wir bewusst vorgeschaltet haben. Das ist ein aufrichtiger Prozess, der in mehreren Stufen läuft. Ob Kritiker dadurch überzeugt werden, kann ich nicht sagen, weil ich auch die Motive im Einzelnen nicht einschätzen kann. Aber ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass man keine Beteiligung und keinen Dialog durchgeführt hat. Wir werden die Erkenntnisse als Auftrag verstehen. Wenn es den Kritikern dann nicht passt, sieht man weiter.
Für die Theatersanierung werden bei angespannter Haushaltslage 90 Millionen Euro an Eigenanteil fällig. Ist es gerechtfertigt, so eine Summe für eine Minderheit der Bürger auszugeben?
Gribl: Da muss man viele Dinge ansprechen. Erste Frage: Wollen Sie eine Stadt ohne Theater? Zweite Frage: Wollen Sie die Leute, die im Theater arbeiten, auf die Straße setzen? Drittens: Wir haben das Gebäude am Kennedy-Platz, genauso wie die Bruchbuden mit den Werkstätten, nun einmal dastehen. Selbst wenn man da kein Theater mehr spielen wollte: Jede Nutzung, die in Richtung einer Versammlungsstätte geht, würde den gleichen Aufwand für den Brandschutz notwendig machen. Man kann also nicht so tun, als ob es darum geht, 90 Millionen zu zahlen oder nicht. Schätzungsweise 50 Millionen fallen so oder so an. Interessant wird es doch dadurch, dass wir für die Theatersanierung einen hohen Zuschuss vom Freistaat bekommen. Die Differenz zu den 90 Millionen zu bezahlen, lohnt sich – das ist ein gigantischer Hebel, um an die Förderung des Freistaats zu kommen.
Was waren 2015 die bedeutendsten Momente für Sie?
Gribl: Dazu zählt der Bürgerentscheid zur Energiefusion. Ein anstrengendes Thema, aber auch eines mit hohem Erkenntniswert. Nicht im Sinne von Frust oder Verärgerung. Vielleicht mit etwas Enttäuschung, weil ich von der Gestaltung überzeugt war. Aber es gibt auf der anderen Seite eine hohe Motivation, die Dinge bei den Stadtwerken nun gemäß dem Ergebnis des Bürgerentscheids fortzuführen. Und dann fielen ja einige epochale Entscheidungen für Augsburg: im Juli der Kabinettsbeschluss für die Universitätsklinik oder die epochale Unterstützung für Theater und Bildung mit einem Gesamtvolumen von rund 230 Millionen Euro. Und auch der Durchbruch für die Verlängerung der Linie 3 nach Königsbrunn.
Sie engagieren sich im Bayerischen und Deutschen Städtetag an führender Stelle, jetzt sind Sie auch noch CSU-Vize. Bleibt genug Zeit als OB?
Gribl: Dieses Engagement kann und wird meine Tätigkeit als OB nicht einschränken. Ich habe diese Funktion auch angenommen, weil sie meinem Amt und der Stadt dient, und nicht umgekehrt. 2017 wird es vielleicht etwas anders, wenn ich den Vorsitz im bayerischen Städtetag übernehme. Das ist mit einigen Terminen verbunden. Aber ansonsten lebe ich die Aufgaben, die mit Ämtern verbunden sind, ja jetzt schon. Was die Parteiarbeit betrifft, läuft vieles übers Telefon mit Konferenzschaltungen oder knüpft an andere Termine an. Das Interview führten Stefan Krog, Michael Hörmann, Alfred Schmidt.
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