"Die Schwarze, die Hitler sein wollte": So berichtet das Ausland
Für viele ausländische Beobachter sitzt Deutschland beim NSU-Prozess mit auf der Anklagebank. Besonders in der Türkei gibt es Kritik an der "Show der Nazi-Braut".
Türkische Medien schauen beim NSU-Prozess ganz genau hin: Das Verhalten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe sorgt dort für Aufregung. Aber auch in anderen Ländern stößt das Münchner Verfahren um die Neonazi-Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem griechischen Migranten auf großes Interesse. Journalisten fragen nach der Rolle der Sicherheitsbehörden und stellen den Umgang Deutschlands mit dem Rechtsextremismus auf den Prüfstand. Ein Überblick nach den ersten Prozesstagen:
TÜRKEI: "Wieder Show der Nazi-Braut", schrieb die türkische Tageszeitung Hürriyet schon nach dem zweiten Verhandlungstag im NSU-Prozess. Viele Medien beschäftigt weiterhin das Auftreten der Angeklagten Zschäpe, das als selbstbewusst und arrogant beschrieben wird. Zeitungen schlagen den Bogen zu einer grundsätzlichen Benachteiligung von Türken in Deutschland: Dass Zschäpe ohne Handschellen im Münchner Gerichtssaal sitzt, türkischstämmige Angeklagte im Prozess um die tödliche Prügelattacke auf dem Berliner Alexanderplatz aber hinter einer Glasscheibe, passt in dieses Bild. "Für Türken so, für Deutsche so", urteilte eine Zeitung. Von den Titelseiten ist der Prozess inzwischen aber meist verschwunden.
GRIECHENLAND: Die griechischen Zeitungen berichteten - obwohl ein NSU-Opfer griechischstämmig war - eher auf den mittleren Seiten über den "historischen Prozess" (Ta Nea). Ethnos analysierte: "Der Fall hat das Problem des Neonazismus in Deutschland ans Tageslicht gebracht. Die Behörden hatten es jahrelang unterschätzt oder ignoriert. Beate Zschäpe, das "Phantom", erschien gelassen und schien manchmal sogar zu lächeln."
Nüchterne Einschätzungen in Frankreich un Großbritannien
FRANKREICH: Der Auftakt zu "einem der größten politischen Prozesse im Nachkriegsdeutschland" (Libération) wurde aufmerksam beobachtet. Viele Medien räumten ihren Korrespondenten Platz ein für Berichte aus München oder Reportagen über Rechtsextremismus in Deutschland. "Nach Studien ist Fremdenfeindlichkeit tief verankert in der deutschen Öffentlichkeit", schrieb der konservative Le Figaro. "Das NSU-Mördertrio zeigt, dass die extreme Rechte in der Lage ist zu organisierten kriminellen Aktivitäten." Für Les Echos wurde beim Streit über die Platzvergabe für Journalisten deutlich, wie "das Gericht - und vielleicht die Gesellschaft - die Aufmerksamkeit für die Neonazi-Problematik in Deutschland unterschätzt".
GROSSBRITANNIEN: Die als aggressiv bekannte britische Presse geht auffallend nüchtern mit der pikanten Materie um. Neben der Schuldfrage stellen die Kommentatoren vor allem die Frage nach der Rolle des Staates und seiner Behörden. "Es gibt ein Gefühl in Deutschland, dass die Behörden die Morde nicht ernst genommen haben, weil die Opfer Ausländer waren, und dass das ganze Land blind war für die Gefahr von Neonazis", schrieb etwa die Daily Mail. Der Guardian kommentierte: "Auf der Anklagebank sitzen nicht nur Zschäpe und ihre Komplizen, sondern auch die deutschen Sicherheitsdienste, die die Verbindung nicht sahen zwischen den Morden und der Szene am rechten Rand."
US-Medien nüchtern, Italien gewohnt polemisch
USA: Die Reaktionen auf den Fall sind eher nüchtern und distanziert. Die New York Times bezeichnete das Verfahren als "Test der Fähigkeit der Deutschen, mit ihrer modernen multikulturellen Identität zurechtzukommen". Die Verzögerung des Prozesses und vorherige Pannen seien im Ausland als Schaden für den Ruf des deutschen Sicherheitsapparates wahrgenommen worden. Die Nachrichtenseite Christian Science Monitor wunderte sich, wie eine mordende Neonazi-Zelle über viele Jahre unentdeckt bleiben konnte, während damals die Linksextremisten der RAF so schnell und hart verfolgt worden seien: "Selbst wenn die deutschen Behörden nicht mit den Neonazis konspiriert haben, die Vorwürfe des institutionellen Rassismus und der Nachlässigkeit bleiben bestehen."
ITALIEN: Vor allem Zschäpes Auftritt stand im Fokus der Berichterstattung, die sich eher auf den hinteren Seiten der Zeitungen fand. "Prozess gegen Beate "die Schwarze", die Hitler sein wollte", schrieb La Repubblica. Zschäpe habe "die Eleganz des kalten Führers" und wende "den Eltern der Opfer aus Verachtung den Rücken" zu. Für den Corriere della Sera geht der NSU-Prozess über die Angeklagten hinaus: "In einem gewissen Sinn urteilt Deutschland auch über sich selbst, für all das, was von 2000 bis 2007 nicht getan wurde und den Mördern erlaubt hat, ihren verrückten Plan in die Tat umzusetzen", kommentierte das Blatt. Nach dem Beginn spielte der Prozess in den italienischen Medien keine Rolle mehr.
Kaum Beachtung in Polen und Israel
POLEN: Der NSU-Prozess spielt in den Medien bisher keine herausragende Rolle. Lediglich die linksliberale Gazeta Wyborcza kritisierte zum Prozessauftakt die lasche Haltung deutscher Behörden und Ermittler bei der Aufklärung der Morde. Im NSU-Prozess sitze Deutschland mit auf der Anklagebank, weil die Gefahr durch rechtsextreme Terroristen jahrelang heruntergespielt worden sei. Besonders bezieht sich die Zeitung auf die Passivität der Polizei etwa bei den ausländerfeindlichen Krawallen in Rostock und anderen ostdeutschen Städten vor 20 Jahren - das habe möglicherweise auch die Basis für das Selbstverständnis der NSU-Täter gelegt, straffrei Ausländer angreifen zu können.
ISRAEL: Der NSU-Prozess löste bisher keine größere Aufmerksamkeit aus. Die Medien berichteten zwar von Anfang an über die Taten der Gruppe, die Ermittlungen, die Reaktionen in Deutschland und den nun begonnenen Prozess. Allerdings wurden überwiegend nur Texte internationaler Nachrichtenagenturen abgedruckt. Berichte eigener Korrespondenten oder Kommentare gab es kaum. Auch wurden keine Bezüge zwischen der Ermordung von Ausländern durch die NSU-Zelle und Holocaust oder Nazi-Diktatur hergestellt.
Große Aufmerksamkeit in Spanien
SPANIEN: Viele Zeitungen nahmen zum Prozess-Auftakt Fotos der Hauptangeklagten auf ihre Titelseiten. Die großen überregionalen Blätter widmeten dem Thema eine oder zwei Seiten. Ein Kommentar-Thema war der Prozess in Spanien allerdings nicht. Nach dem Beginn am 6. Mai ging das Interesse stark zurück. El País berichtete in einer Reportage, dass türkische Prozessbesucher an der Gelassenheit und Selbstgefälligkeit der Angeklagten Anstoß nahmen.
NORWEGEN: In Oslo erinnerte die Zeitung VG daran, dass der rechtsextreme norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik aus der Haft seine "liebe Schwester Beate" per Brief aufgefordert hatte, den Münchner Gerichtssaal als politische Bühne für Propaganda zu nutzen. Der in Hamburg lebende norwegische Schriftsteller Ingvar Ambjørnsen nannte in einem vom Sender NRK veröffentlichten Kommentar die Mordserie der NSU-Rechtsextremisten einen "deutschen Schandfleck". Nach den skandalösen Fahndungspannen müsse man auch die "Lotterie um Presseplätze" (im Gerichtssaal) scharf kritisieren.
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