Eine Minderheit hält treibt die Proteste an
Seit das Schmähvideo über Mohammed in der Welt ist, kommt es in der islamischen Welt ständig zu heftigen Protesten. Die werden aber nur von einer radikalen Minderheit angetrieben.
Empörung herrscht in der islamischen Welt: Der Prophet Mohammed werde geschmäht, die Religion herabgesetzt, Gott gelästert, der Muslim beleidigt. Seit das gehässige Video „Innocence of Muslims“ („Die Unschuld der Muslime“) aus den USA im Internet kursiert und obendrein verunglimpfende Mohammed-Karikaturen in dem französischen Satiremagazin Charlie Hebdo erschienen, sieht man freitags Fäuste, Feuer und Furor auf den Straßen islamischer Länder. Eine Weltreligion befindet sich anscheinend im Aufruhr. Wirklich?
Nur eine Minderheit protestiert mit Gewalt gegen die Verunglimpfung des Islam
Der Bamberger Professor für Islamwissenschaft, Patrick Franke, sagt: „Es geht letztlich um Minderheiten, die sehr lautstark sind.“ Man sehe im Fernsehen immer nur einige hundert Menschen, die heftig protestieren, während die Mehrheit den Aufruhr ingnoriert. Die Aufrührer wüssten genau, dass an anderen Orten zeitgleich dieselben Aktionen ablaufen und dass sie von westlichen Medien wahrgenommen werden. „Der Großteil der weltweit 1,6 Milliarden Muslime fühlt sich davon aber überhaupt nicht angesprochen“, urteilt Franke.
Vorgänge in Süddeutschland scheinen ihm recht zu geben: Die Vorbeter aus 25 bayerischen Moscheegemeinden distanzierten sich soeben ausdrücklich von den Krawallen: „Wir lassen nicht zu, dass gesellschaftliche Randgruppen oder auch Entwicklungen in anderen Ländern unseren gesellschaftlichen Frieden in Bayern nachhaltig gefährden“, heißt es in ihrer Resolution. Die Imame sprachen sich für besonnenen Umgang mit den Mohammed-Schmähungen aus: „Wir wollen Ruhe, die Welt braucht keine Diskussion darüber“, beteuert Benjamin Idriz in Penzberg.
Irans Kulturminister will die Oscars boykottieren
Der in den USA gedrehte Film habe die Gefühle aller 1,6 Milliarden Muslime weltweit verletzt, erklärt hingegen der stellvertretende Kulturminister des Iran, Javad Schamkadri, und droht damit, die Oscars zu boykottieren, falls die Filmakademie in Los Angeles nicht das Mohammed-Schmähvideo verurteilt. „Ich empfehle, dass der Iran nicht an der Veranstaltung teilnimmt, bis die Oscar-Akademie eine angebrachte Reaktion auf diesen beleidigenden Film zeigt“, so Schamkadri. 2011 gab es für „Nader und Simin – Eine Trennung“ von Regisseur Asghar Farhadi den ersten Oscar für einen Film aus dem Iran.
Die Hintermänner der wütenden Proteste zielten, so Professor Franke, weiter darauf ab, den Westen einzuschüchtern. Mit gewalttätigen Straßenkrawallen möchten sie erreichen, dass in den freiheitlichen Ländern die Beleidigung von Islam, Mohammed und Koran unter Strafe gestellt wird. Ihnen gehe es letztlich darum, die kulturelle Hegemonie des Westens zu brechen. Morgenluft wittern diese Islamisten, seitdem im Arabischen Frühling die islamischen Völker in Tunesien, Libyen, und Ägypten die säkularen Regierungen abgeschüttelt haben. Nun finden sie es an der Zeit, die richtige Herrschaft des Islam durchzusetzen. „Salafisten und Hisbollah-Anhänger halten sich in ganz anderen Denkwelten auf als die Muslime, die eine moderne Schulbildung genossen haben und es gewohnt sind, mit Menschen in einer säkularen Umgebung zusammenzuleben“, sagt Franke.
Auseinandersetzung um die Modernisierung des Islam
Zuerst gehe es um einen innerislamischen Richtungsstreit: Lässt sich Mohammeds Religion in eine plurale, freiheitliche Gesellschaft einpassen? Oder muss sie, um dem Koran treu zu bleiben, eine deutlich andere Gesellschaftsordnung aufrichten – zum Beispiel mit verschleierten Frauen, denen etliche Bereiche verwehrt sind. Den offenen Weg gehen Länder wie die laizistische Türkei, den strengen etwa die Scheichs von Saudi-Arabien. Islamfeindliche christliche Fanatiker spielen also mit ihren provokanten Angriffen auf Mohammed den Islamisten in die Hände. Sie verstärken die antimoderne Stoßrichtung dieser Menschen, die sich ganz an Mohammeds Lebensweise orientieren und alles rückgängig machen wollen, was seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts an Reformen im Islam erfolgt ist, in Kleidung, Bildungswesen, Gleichberechtigung der Frau und moderatem Strafrecht.
Gerade in den Staaten des Übergangs, so hat es der Islamwissenschaftler Franke analysiert, findet derzeit ein kollektiver Prozess der Identitätsfindung statt. Unter der grünen Fahne des Propheten errangen die Völker ihre Freiheit; nun erleben sie den Islam als eine riesige, weltweite Gemeinschaft, die sie bestärkt – auch in politisch und wirtschaftlich schwierigen Situationen.
„Das Christentum spielt dabei gar keine Rolle“, glaubt Franke. Wenn, dann geht es um die Beleidigung der Muslime durch Aktionen der USA und ihrer Bundesgenossen – seien sie militärischer Art oder propagandistischer. Franke macht seine Einschätzung daran fest, dass es im Islam selbst Differenzen über bestimmte Vorstellungen gibt. Ein besonders empfindlicher Punkt ist die Eheschließung Mohammeds mit einem sechsjährigen Mädchen, die er, als es neun Jahre alt war, auch körperlich vollzogen habe. „Die Überlieferung ist kanonisch, aber sie ist sehr schwer mit heutigen Auffassungen zu vereinbaren, wonach Geschlechtsverkehr mit Kindern eine Schande ist“, erklärt der Islamwissenschaftler. Immer wieder diente sie dazu, den Islam zu verunglimpfen – auch jetzt in dem anstößigen amerikanischen Schmähvideo. Zur Abwehr heiße es dann mitunter, die Überlieferung stimme nicht, sie sei eine Erfindung.
Salafisten wollen die Frühzeit wiederherstellen
Mit dem salafistischen Islamismus gehe eine antiintellektuelle Stimmung einher. Sie ignoriere, dass islamische Gelehrsamkeit über Jahrhunderte hinweg von Rationalität geprägt war, erklärt Professor Franke. Verdächtig scheinen den Salafisten die Versuche, die eigene Lehre mit den Methoden der griechischen Philosophie zu begründen. „Solche Traditionen werden weiter gepflegt an den Universitäten in Ägypten und Indonesien, aber diese Gelehrten bilden die Minderheit in der geistigen Landschaft“, so Franke. Die Salafisten indes orientieren sich direkt am Leben Mohammeds und streben danach, die Reinheit dieser Frühzeit in der islamischen Welt wiederherzustellen. Dialog mit dem Westen, mit einem konkurrierenden System, hat darin keinen Platz.
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