Musical-Kritik: "Cabaret" bietet mitreißendes Freiluft-Theater
Pralles Nachtleben und aufkommender Nationalsozialismus: Wie wird daraus mitreißendes Freiluft-Theater? Das Theater Augsburg zeigt mit "Cabaret", dass dies gelingen kann.
Es ist nicht ganz einfach, ein Musical wie „Cabaret“ auf eine Freilichtbühne wie die am Roten Tor zu bringen. Denn „Cabaret“ ist keines dieser Musicals, die mit viel Spektakel einer fröhlich-harmlosen Dramaturgie folgen. „Cabaret“ ist vielschichtiger, wohl mit eingängigen Revuenummern, die aber durch melancholisch geprägte und intime Spiel- und Gesangsszenen kontrastiert werden.
Hinzu kommt die Thematik des Stücks: Das pralle Nachtleben des Berlin der späten 20er Jahre wird überschattet von der Wirtschaftskrise und dem aufziehenden Nationalsozialsozialismus. So ist das Stück Unterhaltung mit dunklem Unterton und es erfordert eine klug durchdachte Inszenierung, diese beiden Pole in Einklang zu bringen.
In Augsburg hatte man dafür den bekannten Opernregisseur John Dew gewonnen, doch der schien am Ende nicht der richtige Mann für diesen Balanceakt zu sein. Unterschiedliche Auffassungen zwischen ihm und der Theaterleitung über das Konzept führten eine Woche vor der Premiere zu einer einvernehmlichen Trennung.
Die Proben zu Ende brachte das Führungsteam um Intendantin Juliane Votteler. In der Aufführung hätte diese Schwierigkeit durchaus Spuren hinterlassen können. Doch einmal mehr zeigt es sich, dass Augsburg mit Ende der nächsten Spielzeit eine Intendantin verliert, die mit sehr sicherem Gespür auf künstlerische Qualität setzt, ohne dabei die Publikumswirksamkeit aus den Augen zu verlieren. Denn „Cabaret“ auf der Freilichtbühne am Roten Tor ist eine ganz und gar großartige Aufführung – stimmig, frech, nachdenklich, fabelhaft gespielt und getanzt.
Das Bühnenbild bei "Cabaret" überzeugt
Überzeugend schon das Bühnenbild (Markus Erik Meyer), das die Freilichtbühne verkleinert und somit das Geschehen näher ans Publikum führt. Der lange Gang einer Wohnung mit vielen abgehenden Türen verläuft im vorderen Drittel quer über die Bühne. Je nach Szene werden aus dieser Wand der Kit Kat Club, ein Zimmer, ein Zugabteil oder ein Obstladen gefahren.
Dies sind die Spielorte für die Geschichte des Amerikaners Cliff Bradshaw, der nach Berlin kommt, um hier Inspiration für seinen Roman zu finden. Im Kit Kat Club lernt er die Sängerin Sally Bowles kennen, die bei ihm einzieht, als sie neben ihrem Lover auch noch ihren Job verliert. Kapriziös, naiv, verletzlich, lebenshungrig ist diese Sally und Veronika Hörmann geht all diesen Facetten der Rolle wunderbar bis in die Nuancen und mit starker Stimme nach. Es ist ihre Show, trotzdem stehen die anderen Darsteller nicht im Schatten.
Präzise in seinem Spiel und sicher im Gesang verkörpert Sebastian Baumgart Clifford Bradshaw. Anrührend in ihrer späten Glückseligkeit sind Gundula Hintz als resolute Vermieterin Fräulein Schneider und Thomas Mehnert als höflich werbender Herr Schultz. Thomas Prazak als allgegenwärtigen Conferencier könnte man sich zwar ein wenig zynischer vorstellen. Doch in seinen Gesangs- und Tanznummern glänzt das Ensemblemitglied nicht nur wegen seines Glitzerkostüms und bei „Money“ läuft er im Duett mit Veronika Hörmann zur Höchstform auf.
Sie alle lassen sich treiben durch die Tage und Nächte einer Großstadt, in der jeder sein kann, wie er will, und jeder jeden lieben kann. Die Musik, schwungvoll und mitreißend interpretiert von den Augsburger Philharmonikern unter Piotr Kaczmarczyk, bildet mit Swing, Jazz und Charleston die passende musikalische Kulisse. Frivol und lasziv sind die rasanten Tanznummern, die dieses Leben und Lieben ohne Tabus zum Ausdruck bringen (Choreografie Julio Viera) und immer noch gewagter und sarkastischer werden, je mehr das bunte Leben vom braunen Treiben überlagert wird.
Eindringliche Szenen gelingen, wenn die ausgelassene Verlobungsfeier im Obstladen umschlägt in eine Demonstration völkischer Ideologie oder am Schluss der Titelsong „Cabaret“ zum Abgesang einer untergehenden Welt wird und im Sirenengeheul und Bombenlärm endet. Beklemmung und Unbehagen herrschen da im Publikum, doch dann großer Applaus und Bravo-Rufe für das ganze Team und eine begeisternde Aufführung.
Die Diskussion ist geschlossen.