Gerade noch Bundestrainer, jetzt Lehrer
Augsburg Am Montag gab der Deutsche Schwimmverband bekannt, wer seine Sportler zu den Olympischen Spielen 2020 nach Tokio begleiten wird. Bernd Berkhahn (Teamchef) und Hannes Vitense (Teamcoach) sollen das gemeinschaftlich übernehmen. Deren Beförderung war nötig geworden, weil Bundestrainer Henning Lambertz Ende des vergangenen Jahres die Brocken hingeschmissen hatte. Seitdem ist der Ex-Bundestrainer ein entspannter Mann – und der Verband flickschusterte unter Hochdruck an einer Lösung für dessen Nachfolge herum.
Während Berkhahn und Vitense „den deutschen Schwimmsport in seiner Gesamtheit näher an die Weltspitze“ führen sollen, wie es in einer DSV-Mitteilung spitz hieß, fuhr Lambertz mit seiner Familie in den Skiurlaub. Zuvor hatte der 48-Jährige all die Dinge erledigt, die ein Arbeitnehmer erledigen muss, wenn er den Arbeitgeber wechselt. „Das war das ganz normale Prozedere, in dem man sein Arbeitsmaterial per Rückgabeprotokoll zurückgibt und dann den Schritt raus aus dem Unternehmen macht – bis hin zur Löschung der E-Mail-Adresse. Lambertz@dsv gibt es nicht mehr“, erzählt der Ex-Bundestrainer.
Sechs Jahre hatte er sich daran versucht, die deutschen Schwimmer international wieder konkurrenzfähig zu machen. Es ist ihm nur bedingt gelungen. Als die Nachfolger von „Albatros“ Michael Groß bei den Sommerspielen 2012 in London erstmals überhaupt ohne Medaille aus dem Becken gestiegen waren, hatte Lambertz übernommen. Er krempelte vieles um, musste aber bei den Spielen 2016 in Rio ebenfalls eine Nullnummer verantworten.
Von außen betrachtet hat sich also nicht viel getan. Hinter den Kulissen aber bohrte Lambertz dicke Bretter. Viele Vereinstrainer ließen sich von Lambertz nur ungern sagen, wie sie ihre Arbeit zu tun hätten. Der Ex-Bundestrainer umschreibt das so: „Entscheiden heißt verletzen. Entscheide ich mich für etwas, entscheide ich mich immer auch gegen etwas anderes. Du kannst es nie allen recht machen.“ Es habe sich zudem immer die Frage gestellt, inwieweit man Entscheidungen als Entscheidungen stehen lasse oder jede Einzelne im Detail noch 23-mal beleuchtet werde. Lambertz: „Das war dann in der Tat sehr kräftezehrend. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass ein Jogi Löw jedem erklärt, warum er jetzt der Meinung ist, dass ein Sané auf der Position X am besten spielt. Er setzt ihn dort ein oder nicht – und dann ist das seine Entscheidung.“
Letztlich habe ihn aber seine Familie dazu bewogen, über den Rücktritt nachzudenken. Als sich dann auch DSV-Präsidentin Gabi Dörries im Machtkampf mit den Landesverbänden aufgerieben hatte und im Dezember zurücktrat, verlor Lambert seine stärkste Fürsprecherin im Verband. „Da war für mich klar: Ohne Gabi kannst du das, was du dir vorstellst, nicht mehr erreichen. Und dann war der Entschluss doch relativ schnell gefasst.“
Seitdem genießt Lambertz die neu gewonnene Zeit mit seiner Gattin und den beiden Töchtern (ein und sieben Jahre). „Ich merke, wie entspannt auf einmal wieder das Zusammenleben mit meiner Frau zu Hause ist. Ohne dass alles in Hektik passiert. Diese neu gewonnene Lebensqualität ist schon eine Menge wert.“
Anders als im Fußball muss aber ein Ex-Bundestrainer im Schwimmen auch nach dem Rücktritt noch arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Ab 1. Februar ist Lambertz deshalb Lehrer an der Friedrich-Bayer-Realschule in Wuppertal. 800 Meter Luftlinie sind es von seiner Haustüre bis ins Klassenzimmer. Der einstige Bundestrainer wird dort Sport und Biologie unterrichten.
Über einen Bekannten, ein ehemaliger Wasserball-Nationalspieler, war der Kontakt zustande gekommen. Der sei vor einigen Jahren ebenfalls als Quereinsteiger Lehrer geworden. „Im Sommer haben wir uns darüber unterhalten und er sagte damals: Mensch, vielleicht kannst du dir das auch mal vorstellen. Manchmal geht es schneller, als man denkt.“
Ganz kann Lambertz aber nicht vom Schwimmen lassen. Er schreibt weiter die Trainingspläne für Marco Koch, den Europameister von 2014. Und er will sich in Wuppertal für den Nachwuchs engagieren. „Ich bin nicht ganz raus aus dem Geschäft“, sagt er mit einem Lachen. „Das Chlor bleibt mir erhalten, wenn auch in geringerer Dosis.“
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