Nachgefragt beim Experten: Warum konnte der kranke Co-Pilot fliegen?
Der Co-Pilot, der die Unglücksmaschine zum Absturz brachte, war krank. Jetzt läuft die Diskussion, warum er trotzdem fliegen konnte. Ein Insider der Branche klärt auf.
Auf eine massive Erkrankung des Co-Piloten des Todesfluges gibt es inzwischen eine Vielzahl von Hinweisen: Er soll unter erhebliche Sehstörungen gelitten haben, bei Neurologen und Psychiatern in Behandlung gewesen sein, in seiner Akte gab es einen Eintrag auf zwangsweise Gesundheitsüberprüfungen, in seiner Wohnung wurden Medikamente gefunden, für den Tag des schrecklichen Ereignisses war er krankgeschrieben.
Immer wieder wird jetzt gefragt: Warum hat ihn dann niemand aus dem Verkehr gezogen? Der Allgäuer Flugmediziner Dr. Robert Betz, selbst erfahrener Pilot mit verschiedenen Jet-Lizenzen, spricht von „erheblichen Lücken im System“. Trotz penibler Pflicht-Checks könnten so insbesondere psychische Krankheiten unerkannt bleiben, sofern es ein Betroffener darauf anlegt.
Angaben beim Arzt werden nicht überprüft
Airlines wie die Lufthansa checken angehende Piloten in eigenen Gesundheitszentren intensiv durch, auch psychologisch. Haben Piloten ihre Lizenz, wird das System offener: Sie können zu den verpflichtenden Regeluntersuchungen zu jedem zugelassenen Fliegerarzt ihres Vertrauens gehen. Andreas Lubitz war 27 Jahre alt und musste einmal jährlich zum Gesundheitscheck. Ab dem 40. Lebensjahr werden Berufspiloten halbjährlich untersucht.
Bei diesen Terminen müssen Piloten einen Fragebogen ausfüllen. Waren sie seit der vorangegangenen Untersuchung erkrankt, kreuzen sie dies an. Neben Augen- und Herzerkrankungen, Epilepsie oder Krankenhausaufenthalten wird gezielt auch nach psychischen Erkrankungen gefragt. Überprüft werden die Angaben nicht. Betz: „Wir sind auf die Ehrlichkeit des Bewerbers angewiesen.“ Aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht werden normale Besuche bei einem Haus- oder Facharzt nirgendwo gemeldet. Der 64-jährige Flugmediziner fragt, um diese Lücke zu schließen: „Warum muss ein Arzt bei Berufspiloten nicht sämtliche Krankschreibungen an eine neutrale Datenbank bei der Luftfahrtbehörde melden?
Fliegerärzte sind keine Psychologen
Psychische Erkrankungen stellen für Fliegerärzte eine Herausforderung dar. Sie sind keine ausgebildeten Psychologen. Der Themenbereich wird, sagt Betz, bei der Weiterbildung zum Flugmediziner zwar kurz behandelt, aber nicht vertieft. In den USA werden Fliegerärzten bei regelmäßigen Seminaren Filme vorgeführt, in den auffälliges Verhalten aufgezeigt wird. Betz: „Bei uns gibt es so etwas nicht.“
Der Allgäuer Mediziner mit einer eigenen Erfahrung von 7600 Flugstunden untersucht seit gut zehn Jahren Berufspiloten. Etwa 200 seiner 500 Gutachten pro Jahr sind gewerblich, die restlichen stellt er für Privatpiloten aus. In diesen zehn Jahren hat er drei Piloten die Flugtauglichkeit aus psychischen Gründen verweigert. Wie er zur Einschätzung in diesen Fällen gekommen ist, will er nicht öffentlich erklären. Nur so viel: „Aufgrund unserer Ausbildung ist die Basis der gesunde Menschenverstand.“ Psychisch Erkrankte seien oft „Blender“, würden bei krankhaftem Narzissmus (Selbstliebe mit Persönlichkeitsstörung) auch vor Betrug nicht zurückschrecken. In einem Fall legte ein Pilot ein Gutachten vor, in dem er einen eigenen Text auf einen Arzt-Briefbogen kopiert hatte.
Spektakulär ist in Luftfahrtkreisen auch der Fall eines psychisch kranken Co-Piloten, der Frachtklappen im Flug öffnete, um die Reaktion seines Kapitäns auszuloten.
An wichtigen Stellen fehlen die Informationen
Erkennt ein Fliegerarzt psychische Probleme, muss er den Fall sofort melden und – erst seit einigen Jahren – an das Luftfahrtbundesamt abgeben. Von dort aus wird ein Gutachten bei einem von mehreren großen flugmedizinischen Zentren in Auftrag gegeben und dann entschieden. Das nächste Problem laut Betz: Darf ein Berufspilot nach einer Behandlung unter Auflagen wieder ins Cockpit zurückkehren, bekommt die Luftfahrtbehörde von der Überprüfung dieser Auflagen in der Regel nichts mit. Es werden lediglich Stichproben durchgeführt.
Betz: „Die Entdeckung von Problemfällen wird zufällig.“ Piloten, deren Flugtauglichkeit gefährdet ist, nutzen dies aus, manche wechseln von Fliegerarzt zu Fliegerarzt und hoffen auf einen „genehmeren medizinischen Ermessensspielraum“, sagt der Allgäuer. Amerikanische Airlines setzen hier auf ein zusätzliches Instrument: Piloten mit Auflagen müssen sich Gesprächen mit erfahrenen Flugkapitänen stellen, die dann nach dem Motto urteilen: Würde ich mit diesem Co fliegen?
Von einem hält Betz gar nichts: eine flächendeckende Begutachtung aller Piloten. „Im aktuellen, so schrecklichen Fall, hätte sich das ja auch als unzureichend erwiesen.“
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