Das Klopfen fand Gehör
Otto, der sterbliche, sündige Mensch begehrte Einlass in die Kapuzinergruft in Wien. Für den Kaiserenkel öffnete sich das Himmelstor
Wien Pater Gottfried Undesser ist angespannt: „Nein, ich gebe jetzt kein Interview. Ich warte auf die Erzherzogin Yolanthe. Sie ist eine betagte Dame und muss sich ausrasten, bevor die Zeremonie anfängt“, sagt er. Der Kapuzinerpater mit brauner Kutte und weißem Bart ist die wichtigste lebende Person am sonnigen Wiener Neuen Markt. Er herrscht über die Kapuzinergruft, in der der österreichische Kaiserenkel und ehemalige CSU-Europapolitiker Otto von Habsburg am Samstag seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Pater Gottfried ist die Schlüsselfigur
Traditionsgemäß öffnet Pater Gottfried die Tür zur Kaisergruft erst nach einer vielsagenden Klopfzeremonie. Dreimal muss der Zeremonienmeister in historischem Heroldskostüm, ein Freund der Familie Habsburg, mit seinem Holzstab mit Silberknauf auf eine Leiste am unteren Ende der Tür klopfen. Beim ersten Mal begehrt er Einlass für „Otto von Österreich“. Dann zählt er alle Titel des Kaiserenkels aus den Kronlanden der Donaumonarchie zwischen Vorarlberg und Galizien auf. „Wir kennen ihn nicht“, antwortet Pater Gottfried auf diese. Die Tür bleibt geschlossen. Beim zweiten Klopfen versucht der Zeremonienmeister es mit den (pan)europäischen Funktionen und Auszeichnungen von Habsburgs. Doch auch damit kann er Pater Gottfried nicht beeindrucken. Erst beim dritten Mal, als der Zeremonienmeister auf die Frage Pater Gottfrieds: „Wer begehrt Einlass?“ antwortet: „Otto – ein sterblicher, sündiger Mensch“, heißt es „So komme er herein“. Eine weiße Hand schiebt sich durch den Türspalt. Die Flügel öffnen sich. Kapuzinerpatres bilden mit Kerzen in der Hand ein Spalier für den mit der schwarz-gelben Habsburger-Flagge bedeckten Sarg.
In diesem Moment scheint die Zeit stehen geblieben zu sein – auch wenn die Klopfzeremonie, die den Zugang zum Himmelstor eröffnen soll, jüngeren Datums ist. Sie wurde 1989 beim Begräbnis der Kaiserin Zita zum ersten Mal praktiziert. .
Die Gesichter sind jedenfalls ernst. Noch vor der Familie folgen acht Ritter des 1430 gegründeten Ordens vom Goldenen Vlies dem Sarg. Otto von Habsburg war Mitglied, seine Ordenskette wird von einem deutschen Kapitänleutnant in Reserve, dem Habsburg-Enkel Severin Meister, auf einem Samtkissen getragen.
Bis König Carl Gustav und Königin Silvia von Schweden, das Fürstenpaar zu Liechtenstein, die Prinzessinnen Astrid und Paola aus Belgien, Infantin Cristina aus Spanien und viele andere die kühle Kapuzinerkirche betreten dürfen, vergehen etliche Minuten. Die Gäste aus den europäischen Adelshäusern gehen ebenso wie viele andere Trauergäste im „Kondukt“ genannten zwei Kilometer langen Umzug durch Wien mit. Flankiert von einigen tausend staunenden Touristen und schaulustigen Wienern strahlen einige große Ernsthaftigkeit aus, andere plaudern fröhlich wie beim Heurigen. Bunt wird der Kondukt durch farbenprächtige Schützen, vor allem aus Tirol, Kaiserjäger, Deutschmeister, Studentenverbindungen und Traditionsverbände aus allen ehemaligen „Kronlanden“ des Habsburgerreiches.
„All diese Verbände als Vertreter der Provinzen der Donaumonarchie sieht man heute zum letzten Mal zusammen“, sagt eine ältere Dame in Schwarz mit praktischen Laufschuhen. „Deshalb bin ich als Nachgeborene hier. Wir haben uns die Republik schwer erkämpft, aber die Habsburger sind unsere Geschichte.“ Ähnlich sieht es Milan Horacek, Tscheche und Vertreter der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Prag. Er hat mit Otto von Habsburg im Europaparlament blendend zusammengearbeitet: „Eine Epoche geht zu Ende“, sagt er. „Außerdem gefallen mir diese katholischen Rituale sehr gut.“
Bei dem manchmal beschwingten Requiem in c-Moll von Michael Haydn im Wiener Stephansdom, das Kardinal Christoph Schönborn, selbst aus gräflichem Haus, innig zelebriert, werden alle in Österreich verbotenen Adelstitel genannt. In den Bänken sitzt Europas Hocharistokratie. Die Damen präsentieren sich comme il faut mit schwarzen Spitzenschleiern und langen Ärmeln bei brütender Hitze.
Die sozialdemokratischen Vertreter der Republik – Bundespräsident Heinz Fischer und seine Frau Margit sowie Bundeskanzler Werner Faymann – reagieren gefasst, wenn auch leicht säuerlich, als die Kaiserhymne angestimmt wird. Es sei „eine Hommage an die Geschichte“, entschuldigt sich der Kardinal.
Nach dem Begräbnis ist „die Trauer zu Ende“
Eine junge blonde Frau mit Babybauch erklärt, warum sie an den Feierlichkeiten teilnimmt. „Meine Eltern sind hier sehr involviert, sie tragen beide gräfliche Titel. Es gehört sich einfach, dass ich auch herkomme“, sagt Viktoria Gudenus.
Kapuzinerpater Anton empfiehlt, das Ganze nicht so ernst zu nehmen: „Der Österreicher ist anfällig für das monarchistisch Angehauchte, aber er hält keine lange Trauer aus. Auch bei der Kaiserin Zita war sie nach dem Begräbnis zu Ende“, sagt er lächelnd.
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