Erdogan: Stimmenkauf mit Waschmaschinen?
Sieben Wochen vor den türkischen Kommunalwahlen lässt eine Stiftung Haushaltsgeräte an bedürftige Mitbürger verteilen. Gegner des Ministerpräsidenten Erdogan vermuten, dass dahinter weit weniger selbstlose Motive stecken. Von Susanne Güsten
Von Susanne Güsten
Istanbul - In der ostanatolischen Stadt Tunceli sieht es aus, als ob Plünderer das Lagerhaus eines Hausgeräteherstellers geknackt hätten.
Männer mit Waschmaschinen, Kühlschränken und anderen Geräten auf dem Rücken stapfen durch die verschneiten Straßen. In Tunceli ist aber nicht die Anarchie ausgebrochen, sondern der Wahlkampf. Sieben Wochen vor den türkischen Kommunalwahlen, die als wichtiger Stimmungstest für die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gelten, haben sich die Behörden in Tunceli plötzlich auf Mildtätigkeit besonnen.
Eine Stiftung des Gouverneursamtes lässt Haushaltsgeräte im Gesamtwert von etwa 2,5 Millionen Euro an 3300 Familien in der Provinz Tunceli verteilen. Wie es sich für einen Sozialstaat gehöre, wolle die Regierung bedürftigen Mitbürgern helfen, erklärte der Gouverneur. Seltsam sei nur, dass es 29 türkische Provinzen gebe, die noch ärmer seien als Tunceli und dort würden keine Wohltaten verteilt, kritisierte die Zeitung Hürriyet.
Gegner Erdogans vermuten, dass hinter der Freigiebigkeit in Wirklichkeit weit weniger selbstlose Motive stecken. Tunceli ist die einzige Provinz im ganzen Land, in der Erdogans AKP bisher keine Erfolge feiern konnte. Zudem ist die Kreisstadt Nazimiye in Tunceli die Heimat von Kemal Kilicdaroglu, ein als Korruptionsbekämpfer bekannter Oppositionspolitiker. Kilicdaroglu tritt bei den Kommunalwahlen in Istanbul als Oberbürgermeisterkandidat gegen den AKP-Amtsinhaber Kadir Toptas an.
Vereint wie selten beklagen die türkischen Oppositionsparteien einen klaren Fall von Wählerbestechung; Kilicadroglu selbst riet der Staatsanwaltschaft, sich die Sache einmal genauer anzusehen. Auch viele Wähler durchschauen die Absichten der Regierungspartei offenbar. Der Gouverneur spreche von einem Hilfsprojekt, die Bürger von einer Wahlkampfinvestition, kommentierte eine Lokalzeitung.
Nicht nur mit Sachgeschenken, auch mit politischen Aussagen sind türkische Wahlkämpfer freigiebig. Während Erdogan in Tunceli Kühlschränke verteilen ließ, setzte sich sein säkularer Gegenspieler Deniz Baykal zur Überraschung von Freund und Feind plötzlich für die Einführung von flächendeckenden Korankursen für die Jugend ein. Bisher hatte Baykal solche Bestrebungen stets bekämpft. Offenbar verspricht sich Baykal davon einen Impuls am Wahltag. Gleichzeitig hat er viele seiner Anhänger verwirrt.
In Tunceli hat sich die Opposition inzwischen auf eine Gegenstrategie besonnen. Zum einen will Baykals Partei CHP im Parlament von Ankara per Anfrage klären, woher die 2,5 Millionen Euro für die Geschenkaktion stammen. Zum anderen appellierten CHP-Vertreter in Tunceli an die Bürger: Sie sollen die Haushaltsgeräte annehmen, aber der AKP trotzdem nicht ihre Stimme geben.
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