Mord an Nemzow: "Kremlchef kann Hände nicht in Unschuld waschen"
Nach dem Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow übt die internationale Presse harte Kritik an Russland. Hier sind die Pressestimmen.
Pravo (Tschechien): "Der Beruf des Oppositionspolitikers gehört in Russland wie der des Menschenrechtlers oder unabhängigen Journalisten seit langem zu den riskantesten Tätigkeiten. Das wusste auch Boris Nemzow. Niemand konnte sich aber vorstellen, dass dieser charismatische Mensch, eine der wenigen markanten Persönlichkeiten der Opposition, zum Opfer einer theatralen öffentlichen Hinrichtung werden würde. Die Lage derjenigen, die sich nicht scheuen, in Russland eine andere Meinung zu haben, hat sich seit der Annexion der Krim im vorigen Jahr rapide verschlechtert. (...) Der Mord an Boris Nemzow wird zur Mahnung, wohin Intoleranz und blinder Hass führen können."
"Natur des russischen Regimes hat sich durch Mord auf brutale Weise gezeigt"
Corriere della Sera (Italien): "Die Natur des russischen Regimes - keine klassische Gewaltherrschaft, aber eine autoritäre Demokratie - hat sich durch den Mord an Nemzow wieder auf brutale Art und Weise gezeigt. Warum weiterhin so tun, als ob der russische Neoimperialismus nichts zu tun hätte mit dem inneren Autoritarismus? Als Putin sich die Krim angeeignet und damit auf nicht einvernehmliche Art und Weise die Grenzen verschoben hat, hat er das getan, was eine große Macht, die die internationale Ordnung mitbestimmen will, niemals hätte tun dürfen. Weil diese Entscheidung seine Verhältnis mit Europa und den USA unumkehrbar verändert hat."
Le Figaro (Frankreich): "Nichts erlaubt bisher, das Regime und seine Kumpane zu beschuldigen. Es bleibt allerdings, dass der ehemalige Minister Putin herausforderte, die russische Aggression in der Ukraine verurteilte und seine Unterstützung für die Satirezeitung Charlie Hebdo (die im Januar Zielscheibe eines Terroranschlags war) bekundet hat. Im Russland von heute kann jedes dieser Verbrechen vier Kugeln in den Rücken kosten. Wer auch immer letztlich für schuldig befunden wird - es wäre erstaunlich, wenn der Tod eines zusätzlichen Gegners den Zaren Putin destabilisieren würde. Zumal Propaganda und Personenkult dafür sorgen, dass Putins Beliebtheit am Zenit bleibt."
Mord an Nemzow "gezielter Akt der Einschüchterung"
Neue Zürcher Zeitung: "Der Kremlchef kann seine Hände nicht in Unschuld waschen. Er hat ein Klima des übersteigerten Nationalismus geschürt, in dem überall Staatsfeinde und "fünfte Kolonnen" vermutet werden. Die Bluttat ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Wer auch immer den Auftrag dazu gegeben hat - sie ist eine klare Botschaft an Russlands Opposition. Sollte diese gehofft haben, (Präsident Wladimir) Putins Regime werde unter der Last der Wirtschaftskrise und der Sanktionen ins Wanken kommen, so ist der Mord ein gezielter Akt der Einschüchterung. Russlands Regimegegner sehen sich mit einer düsteren Realität konfrontiert: Auf eine Machtprobe auf der Basis des Rechts oder guter Argumente lassen es ihre Gegner nicht ankommen. Sie setzen auf rohe Gewalt."
Libération (Frankreich): "Der starke Mann im Kreml zeigt sich gegenüber jenen, die ihn im Inneren herausfordern, ebenso unnachgiebig wie gegenüber ehemaligen Sowjetrepubliken, die sich aus seinem Einfluss befreien wollen - wie früher (2008) Georgien und heute die Ukraine. Der Westen, und vor allem die europäischen Länder - allen voran Frankreich - waren gegenüber Putin lange Zeit zu treuherzig. Sie wollten nicht einsehen, dass der ehemalige KGB-Agent nur die Sprache der Härte versteht. Das Ausschalten des Oppositionellen Nemzow - nach so vielen anderen, die ermordet, vergiftet oder ins Exil geschickt wurden - ist eine neue Warnung."
Die Welt: Wer hat Boris Nemzow umgebracht? Und was genau war der Auslöser? Es sind Fragen, auf die man wohl keine angemessene Antwort erhalten wird. Die Suche danach wird wahrscheinlich so erfolglos bleiben wie bei so vielen Attentaten zuvor. Hinter jedem dieser Opfer steckt ein trauriges Schicksal, doch es ergibt noch kein ganzes Bild. Letztlich geht es um das Klima im Russland Putins. Die Spur führt immer wieder zurück zu einem übermächtigen autokratischen Staat. Andersdenkende gehören in diesem Staat und in diesem Weltbild dorthin, wohin man auch Schwule und Lesben schicken möchte. Auch wenn man mit derartigen Vergleichen vorsichtig sein sollte, so ist in Putins Russland ein dumpfes Klima entstanden, das in manchem an das Deutschland der frühen 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert.
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