Parteitag Alternative für Deutschland: Sie oder Er?
Warum sich die Alternative für Deutschland jetzt zwischen Frauke Petry und Bernd Lucke entscheiden muss. Eine Partei vor der Entscheidung.
Frauke Petry ahnt schon früh, was auf sie zukommt. Ein paar Tage vor der Landtagswahl in Sachsen sitzt die Frau, die heute nach der ganzen Macht in der Alternative für Deutschland greift, im Speisezimmer eines Dresdner Hotels und macht sich nichts vor. Ja, räumt sie ein, die Stimmung sei gerade günstig für ihre noch junge Partei. Jetzt in ein paar Landtage einzuziehen, sagt sie, sei viel einfacher, als das in ein paar Jahren zu wiederholen. Es ist ein lauer Abend im August vergangenen Jahres, ihr Verhältnis zu Parteigründer Bernd Lucke ist schon damals nicht das beste, im Lichte der guten Umfragen jedoch sieht vieles noch etwas milder aus als nun, ein knappes Jahr später.
Alternative für Deutschland am Scheidepunkt
Nach vier erfolgreichen Landtagswahlen hintereinander steht die AfD vor dem Parteitag in Essen an diesem Wochenende genau an dem Punkt, auf den Frauke Petry sie schon an jenem Abend zusteuern sah: dem Punkt, an dem sich alles entscheidet, an dem die Partei ihre Grabenkämpfe entweder überwindet oder noch tiefere Gräben schaufelt. An dem sie für mehr als fünf Prozent der Deutschen wählbar bleibt oder in der Versenkung verschwindet.
Ob sie tatsächlich gegen Lucke antreten würde, hat die 40-Jährige lange offengelassen. Noch ist sie nur eine von drei gleichberechtigten Vorsitzenden, noch ist nicht klar, wofür die Partei sich in Essen entscheidet: für ein Trio an der Spitze wie bisher, für zwei gleichberechtigte oder für einen einzigen Parteichef, der nach Luckes Selbstverständnis nur Lucke heißen kann.
Frauke Petry sucht Nähe zu Pegida
In diese Lücke zielt Frauke Petry mit ihrer Kandidatur: Wo er professoral doziert, hört sie aufmerksam zu. Wo er versucht, die Funktionäre um sich zu scharen, umgarnt sie die Basis – und wo er auf Abstand zur extremen Rechten achtet, sucht sie die demonstrative Nähe zu Pegida und spricht von inhaltlichen Schnittmengen. Eine Rechte aber, sagt sie, sei sie deswegen noch nicht. Und überhaupt: „Bernd Lucke ist genau so konservativ wie ich, wenn wir überhaupt konservativ sind.“
Frauke Petry, Einserabiturientin, promovierte Chemikerin, gescheiterte Unternehmerin und Mutter von vier Kindern, ist eine Frau, die sich nicht gerne festlegt. Ja, sagt sie, es gebe auch in der Alternative für Deutschland Leute mit problematischen Ansichten. Sekunden später aber fügt sie bereits hinzu: Wir haben keine Rechtsextremen in der Partei.
Frauke Petry holte fast zehn Prozent in Sachsen
Entlang dieser unsichtbaren Linie zwischen Gerade-noch-politisch-Korrekt und Schon-etwas-Anstößig hat sie in Sachsen auch ihren Wahlkampf geführt und aus dem Stand fast zehn Prozent der Stimmen geholt: Mit der Forderung nach Grenzkontrollen, um Einbrecher und Autodiebe aus Polen und Tschechien abzuschrecken, mit dem Ruf nach einer schärferen Asylpolitik und mehr deutschsprachigen Liedern im Radio. Und mit einer Familienpolitik, in der die Drei-Kind-Familie die Regel ist und nicht mehr die Ausnahme. Der demografische Wandel, sagt sie, ist ja nichts anderes als ein Mangel an Kindern. Anders als Lucke, der immer so kühl und distanziert klingt, hüllt seine Widersacherin auch die umstrittensten Thesen noch in einen Schleier aus Freundlichkeit und dosierter Zurückhaltung.
Ihre Gegner dagegen behaupten, mit ihrem Image als dem menschlichen Gesicht der AfD tarne sie nur geschickt ihren Ehrgeiz und eine andere, wenig sympathische Charaktereigenschaft. „Ich halte sie für intrigant“, sagt der frühere Industriepräsident Hans-Olaf Henkel, der für die AfD im Europaparlament sitzt. Mit ihrem „Gegeifer“ habe sie ununterbrochen an Luckes Stuhlbeinen gesägt. Der Parteigründer will deshalb auf keinen Fall mehr in einer Doppel- oder Dreierspitze mit ihr zusammenarbeiten.
Was Frauke Petry selbst will, ist noch nicht ganz so klar – wie so oft. Ihrem Kontrahenten Lucke wirft sie vor, er führe die Partei zu autoritär und bringe nicht den Mut auf, auch vermeintliche Tabuthemen anzusprechen. Eine Partei, hat sie einmal gesagt, könne man nicht führen wie einen Lehrstuhl. Die starke Frau der AfD will alles – nur keine Ein-Mann-Show.
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