Warum Familiennachzug für Flüchtlinge kaum möglich ist
Parteien streiten darüber, ob Syrer Frauen und Kinder nach Deutschland holen dürfen. Eine Scheindiskussion. Denn viele Flüchtlinge haben gar keine Chance auf Familiennachzug.
Die Luft ist stickig in dem kleinen Raum. Zehn Schalter sind hinter Glas nebeneinander aufgereiht, keiner breiter als der Stuhl, auf dem eine Botschaftsangestellte sitzt. Ein paar Frauen sind noch da, umgeben von vielen Kindern in allen Altersstufen. Die kleinen klammern sich verschreckt an die Mütter, halbwüchsige Buben, die in Zeiten des Krieges schnell erwachsen geworden sind, halten Stapel von Papieren in den Händen.
Ein ganz normaler Vormittag in der deutschen Botschaft in Ankara. Hier werden täglich 80 bis 100 Flüchtlinge abgefertigt, die ein Visum für Deutschland beantragen wollen. Im Konsulat in Istanbul sind es noch einmal so viele, in Izmir weitere 20 bis 30. Macht etwa 200 syrische Flüchtlinge täglich, die seit Monaten, oft seit Jahren in den Camps in der Türkei oder im Nordirak leben. 40000 Familienangehörige, so die offizielle Zahl, warten derzeit in der Türkei darauf, einen Antrag auf Familiennachzug stellen zu können. Und sie warten lange.
Den Antrag können sie ohnehin erst abgeben, wenn der Mann oder Vater, der sich bis nach Deutschland durchgeschlagen hat, das Asylverfahren durchlaufen und eine Aufenthaltserlaubnis bekommen hat. Dann besteht der Rechtsanspruch, die Frau und die Kinder nachzuholen. Wenn die Familie allerdings heute einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ankara beantragt, bekommt sie diesen frühestens im Frühjahr 2017, bestätigen die Botschaftsmitarbeiter. Die Wartezeit im Konsulat in Istanbul beträgt sogar fast 16 Monate.
Hohe Hürden für Asylbewerber beim Familiennachzug
Der legale Weg ist vielen nicht nur durch die langen Wartezeiten, sondern auch durch sperrige Vorschriften verwehrt. So brauchen sie zur Beantragung eines Visums Identifikationsdokumente wie einen Pass, den viele nicht haben. Und wenn, dann seien es oft Pässe, die von der Opposition ausgestellt wurden. Diese sind aber als offizielle Dokumente nicht anerkannt. Was passiert? „Wir schicken die Menschen zurück nach Syrien“, sagt eine Mitarbeiterin, damit sie sich die nötigen Unterlagen besorgen. Manche würden sich auf den Weg machen. Andere bezahlten Boten, die mit einer Vollmacht in ihre ehemalige Heimatstadt reisen. Und nur wenige können die 400 Dollar aufbringen, für die die syrische Botschaft in Istanbul einen Pass ausstellt. Darum würden sich viele auch in die Hände von Kriminellen begeben.
„Die Pässe, die sie dann vorlegen, sind oft gefälscht“, sagt die Frau und zeigt uns eine handgeschriebene Liste. Auf der stehen die Namen und Unterschriften der zuständigen Verwaltungsbeamten in den größten syrischen Städten. Auf ihr finden sich auch die Originalstempel der Behörden. „Die können wir dann vergleichen“, sagt sie. Auch das dauert. Ebenso wie es dauert, bis anhand von – erst zu besorgenden –Geburtsurkunden geklärt werden kann, welche Kinder tatsächlich zur Familie gehören. Denn manchmal werde auch versucht, die Cousinen oder Nachbarskinder mit nach Deutschland zu schleusen.
Viele Flüchtlinge versuchen jetzt noch, ihre Familie nach Deutschland zu holen
Die Botschaften und Konsulate in den Nachbarländern Syriens jedenfalls sind völlig überfordert mit der schieren Masse an Visa-Anträgen. Auch wenn das Personal inzwischen aufgestockt wurde, gibt es beispielsweise an der Botschaft in Ankara gerade einmal zwei Mitarbeiterinnen, die die Sprachen der Flüchtlinge beherrschen: Die eine spricht Arabisch, die andere Kurdisch. Über ihre Homepage sucht die deutsche Vertretung in der Türkei derzeit mehrere Mitarbeiter für die Visastelle in Ankara mit Arabisch-Kenntnissen – ab sofort und befristet auf ein Jahr.
„Wir stellen fest, dass viele Familien zu den vereinbarten Terminen nicht mehr kommen“, sagt die Mitarbeiterin, die für die Bearbeitung der Visa-Anträge zuständig ist. Der Verdacht: Sie haben sich längst auf den illegalen Weg Richtung Europa gemacht. Das deckt sich mit Erfahrungen der türkischen Küstenwache, die berichtet, dass sie immer mehr Frauen und Kinder aus dem Mittelmeer fischt.
Und es deckt sich mit den aktuellen Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die bestätigen, dass 55 Prozent der im Januar nach Griechenland in die EU eingereisten Migranten Frauen und Minderjährige sind. Der Grund dafür liegt laut UNHCR in den Diskussionen um den Familiennachzug. Viele männliche Flüchtlinge würden jetzt versuchen, ihre Familien noch nachzuholen, bevor es zu den angekündigten Neuregelungen komme. Und wenn es nicht auf legalem und sicherem Weg geht, dann eben auf illegalem. Die Expertin erzählt von einer Mutter mit acht minderjährigen Kindern. Weinend sei sie mehrfach bei ihr am Schalter gewesen. Vergangene Woche dann hat sie gesagt: „Wenn Sie uns nicht helfen, bleibt uns keine andere Wahl als das Schlauchboot nach Griechenland.“
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