Deutschland, Deine Nerven: Jogis Jungs zittern sich ins Viertelfinale
Deutschland, Deine Nerven: Das DFB-Team muss gegen starke Algerier über 120 Minuten gehen. Am Ende steht der Einzug ins WM-Viertelfinale. Dort wartet nun Frankreich.
Deutschland darf weiter vom WM-Titel träumen. Die Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen, hat der 2:1 (0:0, 0:0)-Sieg im Achtelfinale gegen Algerien allerdings nicht genährt. Die Auswahl von Joachim Löw benötigte vergangene Nacht 120 quälende und nervenzehrende Minuten für den Einzug ins Viertelfinale, den André Schürrle mit einem kunstfertigen Treffer in der zweiten Minute der Verlängerung einleitete.
Mesut Özil erhöhte in der 119. Minute auf 2:0. Algerien ließ nicht locker, schaffte aber nur noch das 2:1 durch Djabou (120. + 1). Im Viertelfinale trifft Deutschland am Freitag (18 Uhr in Rio de Janeiro) auf Frankreich, das gestern Nigeria 2:0 geschlagen hat.
Deutschland erwischt katastrophalen Start
Es war eine der schwächsten 45 Minuten, mit denen sich die deutsche Mannschaft an den Rand des WM-K.-o. gekickt hatte, ehe sie sich nach der Pause langsam und mühevoll dem Viertelfinale entgegenkämpfte.
Dabei hatte die Partie zunächst begonnen, wie das zu erwarten ist, wenn ein Schwer- auf ein Leichtgewicht trifft. Der Größere möchte schnell zuschlagen, der Kleine verzieht sich hinter seine Deckung, die sich im Fußball bekanntlich am eigenen Strafraum befindet. Das Spiel, das sich daraus entwickelt, ist vor allem langweilig. Doch anders, als es ein Treffen zwischen einem Weltranglisten-Zweiten und einer Nummer 22 vermuten lässt, waren es nicht die favorisierten Deutschen, die Leben ins Spiel brachten, sondern der Außenseiter aus Algerien, freilich herzlich von der DFB-Auswahl dazu eingeladen.
Der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw gelang in der ersten Halbzeit so gut wie nichts von dem, was sie in den Vorrundenspielen ausgezeichnet und ihr den Gruppensieg beschert hatte. Lahm & Co. wirkten hinten unsicher, vorne orientierungs- und ideenlos.
Löw bringt Mustafi für kranken Hummels
Löw hatte vor allem seine Viererkette neu formieren müssen. Mats Hummels war mit Fieber im Mannschaftshotel geblieben. Für den Dortmunder rutschte wieder einmal Shkodran Mustafi nach. Jérôme Boateng rückte auf Hummels’ Platz in der Innenverteidigung und damit in jene Rolle, die er am besten beherrscht. Lukas Podolski saß zwar unter den 50 000 Besuchern im Estadio Beira-Rio, allerdings nur als Zuschauer. Der England-Legionär hatte sich vor Tagen mit einer Oberschenkelzerrung für das Achtelfinale abgemeldet.
Aus freiem Willen dagegen die Entscheidung des Bundestrainers, Bastian Schweinsteiger den Vorzug vor Sami Khedira zu geben. Schweinsteiger allerdings bekam das Spiel zunächst genauso wenig in den Griff wie Toni Kroos oder Philipp Lahm. Das Bayern-Trio stand sich gegenseitig im Weg, produzierte serienweise Fehlpässe, wovon sich auch der Rest der Truppe anstecken ließ. Ein Ballverlust Mustafis zwang Manuel Neuer, der meist eine Art Libero hinter der Viererkette spielte, zur ersten waghalsigen Rettungstat, der noch etliche folgten.
Dass Algerien, nicht schon nach 17 Minuten in Führung ging, lag am aufmerksamen Schiedsrichtergespann, das Islam Slamis Kopfballtreffer zu Recht wegen einer Abseitsstellung nicht in die Wertung nahm. Spätestens jetzt allerdings merkten die Algerier, dass der hohe Favorit offenbar einen schlechten Tag erwischt hatte. Mehr noch: Lahm & Co. waren völlig von der Rolle. Die Wüstenfüchse mussten sich nicht einmal besonders schlau anstellen, um die Deutschen aus der Fassung zu bringen. Es genügte, die freien Räume zu nutzen und die Geschenke anzunehmen, die ihnen besonders die schlecht sortierte Viererkette anbot.
Mit Schürrle kommt nach der Pause frischer Wind
Erst kurz vor dem Pausenpfiff rafften sich die Deutschen zu einem Zwischenspurt auf, aus dem sich immerhin die größte Gelegenheit zur Führung ergab. Mario Götze jedoch verpasste es nach einem 25-Meter-Schuss von Schweinsteiger, den Abpraller an Torhüter Rais Mbolhi vorbeizubringen. Götzes letzte Aktion. Für den Münchner kam André Schürrle, und mit dem 23-Jährigen auch frischer Wind. Die deutsche Elf begann sich dem 1:0 zu nähern, was Mbohli zunächst spektakulär verhinderte. Allmählich bekam sie das Spiel in den Griff und die überwiegend deutschstämmigen Zuschauer, die bis dahin entsetzt und konsterniert das Treiben verfolgt hatten, wieder auf ihre Seite.
Mit Khedira für den verletzten Mustafi und Lahms Rückzug in die Abwehrreihe neigte sich das Spiel weiter Deutschland zu. Aber auch Thomas Müller, bis dahin mit vier Treffern erfolgreich, scheiterte am überragenden Mbohli. Immerhin, Deutschland lief jetzt im WM-Modus, war dem Viertelfinale näher als die Algerier, die zwar gefährlich blieben, denen aber allmählich etwas die Kräfte schwanden. Das galt kurz vor dem Ende der 90 Minuten freilich auch für die Deutschen.
Beim Anlauf zu einer besonders aufwendigen Freistoß-Choreografie stolperte Müller wie in einem Slapstick über die eigenen Füße. Die Verlängerung musste also entscheiden – und das tat sie früh. Eine Müller-Vorlage bugsierte Schürrle mit einem Kunstschuss zum 1:0 ins Netz. Schon lange hat sich keine deutsche Auswahl mehr eine Führung derart hart erarbeitet. Noch aber waren 28 Minuten zu überstehen und die Wüstenfüchse waren nicht gewillt, dem Favoriten einen entspannten Abgang zu gewähren.
In den Schlussminuten kam für den entkräfteten Schweinsteiger noch der Gladbacher Christoph Kramer. Der Rest war zittern.
Die Diskussion ist geschlossen.