Kein Besuch für Alzheimer-Patientin: Nachbarn protestieren gegen Urteil
Das Gericht verbietet den Kontakt zu einer an Alzheimer erkrankten 89-Jährigen aus Königsbrunn. Die Menschen sind wütend. Das zeigten sie gestern bei einer Mahnwache.
Wut, Verzweiflung, Frustration: Die Emotionen schwappten gestern hoch in Gersthofen. 50 Leute hatten eine Mahnwache vor dem Paul-Gerhardt-Pflegeheim gebildet. Die Frage, die sie vereinte: Dürfen ehemalige Nachbarn eine Frau besuchen, die an Alzheimer erkrankt ist und unter Betreuung steht? Das Augsburger Amtsgericht hat diese Frage im Fall einer 89-jährigen Frau aus Königsbrunn mit Nein beantwortet. Die Seniorin ist seit fünf Monaten in der geschlossenen Abteilung des Pflegeheims untergebracht – und darf nach dem Gerichtsbeschluss seitdem nur von drei Personen aus ihrem engsten Familienkreis besucht werden. Diese wohnen aber nicht in der Nähe. Das sorgt für Ärger unter ihren ehemaligen Nachbarn. Sie haben bereits mehrfach versucht, die Frau zu besuchen und mit ihr zu sprechen. Das Ergebnis war jeweils ein lautstarker Disput, einige haben mittlerweile Hausverbot.
Der Vorwurf: Gericht handelt gegen den Willen der Seniorin
Nun folgte der vorläufige Höhepunkt der Auseinandersetzung: Ehemalige Nachbarn und Kollegen protestierten vor dem Pflegeheim mit einer Mahnwache. Ihr Vorwurf: Das Gericht habe gegen den Willen der Seniorin gehandelt, als sie das Besuchsverbot verhängte. Erika Schafnitzel führt die Proteste an. Sie hat früher in unmittelbarer Nachbarschaft der Seniorin gewohnt. Ihr gelang es auch, die Frau im Oktober trotz des Besuchsverbotes zu sprechen, bevor sie aus der Einrichtung geworfen wurde. Das, was die 89-Jährige damals zu ihr gesagt hat, steht heute auf einem der Plakate: „Was habe ich verbrochen, dass man mich so wegsperrt?“
Keine Auskünfte, warum die Frau weggesperrt wird
Dass das Gericht mit geltendem Recht argumentiert, überzeugt Schafnitzel nicht. „Es gibt keinen Grund, eine 89-jährige Frau einfach wegzusperren.“ Gerade die Ohnmacht, mit der man das Urteil der Justiz annehmen müsse, sei für Schafnitzel schwer zu ertragen. Denn Auskunft über die Gründe des Handelns geben weder das Betreuungsgericht noch die zuständige Betreuerin ab – das sei wegen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte nicht möglich. Florian Schmitt-Roob, der Leiter des Betreuungsgerichts, betonte gegenüber unserer Zeitung, dass es im konkreten Fall drei unabhängig voneinander erstellte Gutachten gebe, die alle zum selben Schluss kommen: Nur ein ausgesuchter Personenkreis dürfe die Seniorin besuchen. Diese sogenannte Umgangspflegeschaft sei laut dem Richter ebenso streng wie selten – und werde auch fortlaufend geprüft, zuletzt Anfang Februar. Sobald dies nicht mehr notwendig sei, werde die Umgangspflegeschaft aufgehoben. Für Erika Schafnitzel ist das vielleicht dann schon zu spät für die 89-Jährige: „Was bleibt ihr denn noch? Vielleicht ein paar Monate?“ Schon jetzt mache sich die Isolation an der Frau bemerkbar, die seit einer Augenoperation nur noch schlecht sehen könne. Anne-Dore Maierhans, die ebenfalls bei einem der Besuche dabei war, sagt: „Sie war so eine liebenswerte Frau. Jetzt ist sie wie gebrochen.“
"Anstifutng zum Gesetzesbruch"
Den Ärger bekam Pfarrer Fritz Graßmann zu spüren. Er ist theologischer Vorstand des Diakonischen Werkes Augsburg und in dieser Funktion für die Leitung des Paul-Gerhardt-Hauses zuständig. Die Aufforderung, die Nachbarn zu der Frau zu lassen, empfindet er als „Anstiftung zum Gesetzesbruch“ – schließlich seien den Angestellten des Hauses auch die Hände gebunden. „Wir setzen die Beschlüsse des Gerichts um.“ Graßmann verteilte gestern Flugblätter, mit denen er bei den Teilnehmern der Mahnwache um Verständnis werben will. Das klappte nicht immer. „Schuft“, sagte einer, „Unmenschlichkeit“ ein anderer. Applaus gab es, als eine Frau die Frage stellt: „Warum haben in Deutschland die Betreuer so viel Macht?“ Graßmann appellierte an die Menschen: „Sie müssten eigentlich vor dem Amtsgericht stehen.“ Graßmann sagte gestern, dass er sich für eine Lockerung des Besuchsverbotes einsetzen will. Einen ähnlichen Vorstoß hatte das Gericht im Dezember abgelehnt.
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