Ägypten im Zeichen des Islam
Präsident Mursi hat sich mit seinem Coup den Spitznamen „Mubarak mit Bart“ verdient.
Während der Jahrzehnte vor dem Arabischen Frühling wurde Ägypten von drei Offizieren regiert: Nasser war 16, Sadat elf und Mubarak 30 Jahre an der Macht. Wenn die neue, von den Islamisten geschriebene Verfassung in Kraft tritt, wird es das nicht mehr geben: Die Wahlperiode des Präsidenten beträgt dann vier Jahre, einmalige Wiederwahl ist möglich. Vorbild sind die USA. Ein Ziel der Revolutionäre vom Tahrir-Platz wäre erreicht.
Auf der anderen Seite heißt es in dem Dokument, das derzeit die ägyptische Gesellschaft in zwei schier unversöhnliche Lager spaltet, dass die obersten Religionsgelehrten des Al- Azhar-Instituts zu hören sind, wenn es um Fragen des islamischen Rechts, der Scharia, geht. Dieses wiederum wird in der Verfassung als „wichtigste Quelle der Gesetzgebung“ bezeichnet.
Das ist ungefähr so, wie wenn in Deutschland der Bundestag die katholische Bischofskonferenz und den Rat der evangelischen Kirche in wichtigen Rechtsfragen hinzuziehen müsste. Konstitutiver Grundsatz westlicher Demokratien ist freilich die Trennung von Kirche und Staat – auch wenn unser Grundgesetz Bezug auf Gott nimmt.
Die gemäßigten Islamisten der Muslimbruderschaft, die in Ägypten aus der ersten freien Wahl als Sieger hervorgegangen sind, wollen durchsetzen, dass der Islam das Land am Nil künftig auch auf der Verwaltungsebene stärker prägt. Die politischen Vertreter der Muslimbrüder sind weit davon entfernt, Verhältnisse wie im Iran oder in Saudi-Arabien herbeizuwünschen. Und die Al-Azhar-Universität in Kairo, die als höchste Autorität für die Klärung von Rechtsfragen innerhalb des sunnitischen Islam gilt, ist nicht für Scharfmacherei bekannt, sondern kennt auch das Wort Toleranz. Aber die Verankerung einer islamischen Instanz in der weltlichen Verfassung muss auf säkulare Ägypter sowie Angehörige anderer Religionen befremdlich, ja sogar bedrohlich wirken.
Präsident Mohammed Mursi, dessen politische Heimat die Muslimbruderschaft ist, hat ein riskantes Spiel begonnen, um die Verfassung durchzudrücken. Er hat sich, wenn auch nur auf begrenzte Zeit, für „allmächtig“ erklärt und die Justiz ausgeschaltet, um die Verfassungsberatungen abschließen und den Text dem Volk vorlegen zu können. Dieser Coup hat ihm, nicht ganz unberechtigt, den Spitznamen „Mubarak mit Bart“ eingetragen. „Nicht einmal die Pharaonen hatten so viel Macht“, klagt der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed elBaradei.
Doch Mursi hat nicht nur die (jungen) Kämpfer vom Tahrir-Platz enttäuscht, die sich eine Verfassung voller Freiheitsrechte wünschten. Auch die zahlreichen Anhänger des Mubarak-Regimes sehen ihre Pfründe davonschwimmen und mobilisieren gegen den Präsidenten. Vor allem in Justiz und Militär besitzen sie weiterhin viel Einfluss.
Der Mehrheit des Volkes kann sich der Präsident sicher sein. Diese dürfte einem islamisch geprägten Grundgesetz zustimmen. Der Boykott der Richter macht Mursi jedoch schwer zu schaffen. Das für den 15. Dezember angesetzte Verfassungsreferendum droht ohne Überwachung durch die Juristen seine Legitimität zu verlieren. Dennoch ist zu erwarten, dass sich Mursi und die Islamisten durchsetzen werden.
Der Start Ägyptens in ein neues Zeitalter, das durch den Arabischen Frühling des vergangenen Jahres erst möglich geworden ist, steht dennoch unter einem schlechten Stern. Einigkeit und Aussöhnung sind bisher nicht erreicht und bleiben die großen Aufgaben der Zukunft.
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