Mehr Kinder braucht das Land
Mehr Kinder gibt es nur, wenn Rahmenbedingungen, wie etwa eine Familienarbeitszeit geschaffen werden. Große Koalitionen können Großes leisten. Warum nicht in der Familienpolitik?
Wann hat dieses dumme Gerede eigentlich angefangen, dass Kinder eine Investition seien? Hieß es nicht, Kinder seien ein Geschenk?
Ich bin Vater einer 16 Monate alten Tochter. Ich kann sagen: Ein Kind kann laut sein und „Dreck“ machen. Ein Kind kostet Geld und Zeit. Wer ein Baby hat, kann sich von erholsamen Nächten verabschieden. Vom Kinobesuch. Von der Fernreise. Von dem Leben, das er bisher geführt hat. Ein Kind ändert alles. Ich finde das nicht schlimm: Ich freue mich über mein Kind. Ich freue mich mit ihm. Ein Kind ist ein Geschenk und keine Investition.
Ich habe das Gefühl, dass man gerade in diesen Tagen daran erinnern muss. Gerade heute am internationalen Tag der Kinderrechte. Denn Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter. Man muss daran erinnern, dass ein Kind keine Investition ist: Gerade jetzt, da Politiker von CDU/CSU und SPD über eine Große Koalition verhandeln und über die künftige Familienpolitik. Über das äußerst interessante Modell einer Familienarbeitszeit. Es sieht eine partnerschaftlichere Aufteilung von „Familien- und Erwerbsarbeit“ vor. Die Idee: Vater und Mutter senken ihre Arbeitszeit auf je 80 Prozent einer Vollzeit-Stelle, um mehr Zeit zur Kinderbetreuung zu haben und um berufstätig bleiben zu können. Jeder arbeitet also wöchentlich nur noch etwa 32 statt 40 Stunden. Der Staat übernimmt einen Teil des Lohn-Ausfalls.
Man muss daran erinnern, dass ein Kind keine Investition ist. Gerade jetzt, da diese Statistiken und Studienergebnisse veröffentlicht werden: „Immer mehr Frauen in Deutschland bleiben kinderlos“, teilte das Statistische Bundesamt kürzlich mit. Sowie: „Mit 30% erreichte 2012 die Kinderlosenquote bei westdeutschen Akademikerinnen im Alter von 45 bis 49 Jahren den bislang höchsten Wert.“ Der Trendforscher Peter Wippermann erklärte gestern: Der Körper werde als „Mittelpunkt unserer eigenen Welt“ als „Standortvorteil und eigenes Kapital“ gesehen. „Gesundheit“ ist ihm zufolge den Deutschen am wichtigsten. „Erfolg“ rangiert im „Werte-Index 2014“ auf Platz drei – vor „Familie“.
Ich kann verstehen, dass Politiker angesichts solcher Erkenntnisse fordern: Deutschland braucht mehr Kinder. Es stimmt mit Blick auf unsere alternde Gesellschaft. Ich kann aber nicht verstehen, wenn sie das einseitig mit volkswirtschaftlichen Argumenten begründen. Ich kann auch nicht verstehen, wenn der Erfolg familienpolitischer Maßnahmen einseitig am Anstieg der Geburtenrate gemessen wird. Als ob mehr Geld zu mehr Kindern führen würde. Als ob hundert Euro Betreuungsgeld pro Monat den Ausschlag für ein Kind geben würden – oder tatsächlich eine „Wahlfreiheit“ ließen, was die Kinderbetreuung betrifft.
Und ich finde es traurig, dass Diskussionen um Familienpolitik regelmäßig zu ideologischen Grabenkämpfen mutieren. In der öffentlichen Debatte werden Mütter allzu oft zu „Heimchen am Herd“ gemacht, weil sie ihr Kind oder ihre Kinder zu Hause erziehen wollen. Mütter werden zu „Rabenmüttern“ gemacht, weil sie ihr Kind oder ihre Kinder in eine Kindertagesstätte oder zu einer Tagesmutter bringen, um weiter berufstätig sein zu können. Warum werden sie gegeneinander ausgespielt und nicht beide ernst genommen?
Geldleistungen, die direkt gezahlt werden wie Kinder- oder Betreuungsgeld, lösen das Problem der niedrigen Geburtenrate nicht. Bessere Rahmenbedingungen, wie sie etwa durch das Modell einer Familienarbeitszeit geschaffen werden könnten, auf lange Sicht jedoch schon. Große Koalitionen können Großes leisten. Warum nicht in der Familienpolitik?
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