Berliner Pendeldiplomatie zum Nahost-Konflikt
Frank-Walter Steinmeier und John Kerry trafen sich in Berlin, um mit Netanjahu über die Situation im Nahen Osten zu diskutieren. Über einen nicht endenden Konflikt.
Joschka Fischer ist in Gedanken schon auf dem Weg zurück nach Berlin, als die Bombe explodiert. In einer Warteschlange vor einer Diskothek in Tel Aviv sprengt sich am Abend vor seiner Abreise ein Palästinenser in die Luft und reißt 21 Israelis mit in den Tod. Das Hotel des Außenministers liegt keine 500 Meter entfernt, vom Balkon aus beobachtet er die Rettungsarbeiten und entschließt sich, seinen Aufenthalt zu verlängern, um zwischen Israelis und Palästinensern eine erste, noch brüchige Waffenruhe auszuhandeln.
Gesprächsmarathon in Berlin
14 Jahre später ist die Situation im Nahen Osten ähnlich verfahren wie damals – und wieder ist es ein deutscher Außenminister, der sich um Deeskalation bemüht, diesmal jedoch in Berlin. Bevor Frank-Walter Steinmeier sich am Donnerstag mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu trifft, hat er die Lage bereits mit US-Außenminister John Kerry und der Außenbeauftragten der EU, Federica Mogherini, erörtert, und auch der eigens eingeflogene Kerry und Netanjahu haben schon miteinander gesprochen. Mehr als die üblichen diplomatischen Appelle aber bringt dieser Gesprächsmarathon nicht. Steinmeier redet von tiefen Gräben zwischen den Parteien und einer angespannten Lage. Kerry immerhin betont, er sei vorsichtig optimistisch, ohne aber zu sagen, warum.
„Es ist entscheidend, dass Hetze und Gewalt aufhören“, hat der Amerikaner schon vorher gewarnt, damit aber nicht wirklich etwas erreicht bei Netanjahu. Die Welle der Gewalt, kontert der, werde von der Hetze der radikal-islamistischen Hamas angetrieben, aber auch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und seiner Autonomiebehörde. Allein seit Monatsanfang sind neun Israelis und 50 Palästinenser ums Leben gekommen, und fast immer hat es mit Messerangriffen von jungen Islamisten auf Israelis begonnen. So wie am Donnerstagvormittag, als zwei mit Messern bewaffnete Palästinenser versuchen, in der Nähe von Jerusalem einen Schulbus zu stürmen. Einen der Angreifer erschießt die Polizei, der andere wird schwer verletzt. Es heißt, beide hätten T-Shirts mit dem Emblem der Al-Kassam-Brigaden getragen, des bewaffneten Arms der Hamas.
Netanjahu verbittet sich auch in Berlin den Vorwurf der Palästinenser, er wolle am Status des Tempelberges in Jerusalem rütteln, einer für Juden wie Muslime heiligen Stätte, die von einer jordanischen Stiftung verwaltet wird und an der Juden nicht beten dürfen. Dass er daran denke, die Al-Aksa-Moschee auf dem Plateau einzureißen oder Palästinenser zu exekutieren? „Alles Lüge.“ Tatsächlich hat der Premier seinen Ministern und den Abgeordneten der Knesset untersagt, den Tempelberg zu betreten – um die Stimmung nicht weiter aufzuheizen.
Bleibt Nahost-Konflikt wegen Flüchtlingskrise auf der Strecke?
So aufgebracht wie diesmal hat das politische Berlin Netanjahu noch nicht erlebt, was möglicherweise auch daran liegt, dass ausgerechnet die Deutschen den Atomdeal mit dem Iran maßgeblich mit eingefädelt haben – einem Land, das Israel von der Landkarte tilgen will. Darum aber geht es, wenn überhaupt, nur hinter verschlossenen Türen, zu groß ist die Sorge vor einer dritten Intifada, einem neuerlichen Aufstand der Palästinenser. Nicht auf Israel, findet Netanjahu, müsse die internationale Gemeinschaft deshalb einwirken, sondern auf Abbas. Die Appelle von Steinmeier und Kerry allerdings, den Konflikt nur ja nicht weiter eskalieren zu lassen, gelten Israelis wie Palästinensern gleichermaßen.
Eigentlich hatte Netanjahu schon Anfang Oktober nach Berlin kommen wollen, um mit der Kanzlerin den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu feiern, diesen Besuch wegen der Unruhen zu Hause aber kurzfristig abgesagt. Nun haben die beiden neben der Krise im Nahen Osten und dem Krieg in Syrien plötzlich jedoch ein ganz anderes, sehr deutsches Thema. Netanjahus Vorwurf, der von den Palästinensern gefeierte Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, habe Hitler zum Holocaust überredet, schlägt auch am Tag danach noch Wellen. Angela Merkel aber kontert nur kühl: Deutschland wisse um seine Verantwortung, sagt sie, und es sehe keinen Grund, sein Bild der Geschichte zu verändern ...
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