CDU gegen CDU
Die Rente mit 63 spaltet die Union. Ein Brief vom arbeitgebernahen Wirtschaftsrat brachte die SPD-Ministerin Andrea Nahles auf die Palme.
Der Brief war eigentlich an eine Sozialdemokratin gerichtet. Und doch löste er einen heftigen Schlagabtausch innerhalb der CDU aus. Seit dem Wochenende stehen sich der arbeitgebernahe Wirtschaftsflügel und die arbeitnehmernahen Sozialausschüsse der Union unversöhnlich gegenüber und überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen.
Dabei hatte Wolfgang Steiger, der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, eigentlich etwas völlig anderes im Sinn, als er am 4. März einen zweiseitigen, eng beschriebenen Brief an Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles von der SPD verfasste. In drastischen Worten nahm er zum Rentenpaket der Bundesregierung Stellung, das er ein „durch und durch widersinniges Projekt“ nannte, und brachte die „gravierenden Bedenken“ des Wirtschaftsrates zum Ausdruck.
„Gerade die Rente mit 63 wäre eine gefährliche Geisterfahrt in Zeiten der Bevölkerungsalterung, eine Katastrophe für den Standort Deutschland, ein Mühlstein bei der Bewältigung der europäischen Staatsschulden- und Strukturkrise, eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber Jüngeren, ärmeren Senioren und Frauen“, schrieb er in dem Brief, der unserer Berliner Redaktion vorliegt, und der die eigentlich längst bekannten Einwände des Wirtschaftsflügels nur noch einmal zusammenfasst.
Die Rente mit 36 sei ungerecht gegenüber Frauen und ärmeren Rentnern
In diesem Ton ging es weiter. Die Rente mit 63 sei eine „Umverteilung von unten nach oben“, da die Bezüge der ärmeren Rentner gekürzt würden, „um den wohlhabenderen Rentnern obendrauf noch zwei zusätzliche Rentenjahre zu schenken“. Sie sei ungerecht gegenüber Frauen, da 86 Prozent der Profiteure Männer seien und sich somit „die Rentenschere zwischen Männern und Frauen noch weiter öffnet“. Und sie benachteilige die Jungen, da die anfallenden Kosten zu 60 Prozent den Beitragszahlern aufgebürdet würden. Eindringlich appellierte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates an Nahles, sich ihre Vorgänger Franz Müntefering und Walter Riester zum Vorbild zu nehmen. „Die verantwortungsvolle Politik der beiden hat die Stabilisierung unserer umlagenfinanzierten sozialen Sicherungssysteme ein gutes Stück vorangebracht.“
Andrea Nahles reagierte nicht auf den Brief
Zur Überraschung von Wolfgang Steiger reagierten weder Sozialministerin Andrea Nahles noch die SPD-Fraktion auf diesen Brief, wohl aber die eigenen Parteifreunde vom Arbeitnehmerflügel. Und dies ziemlich deutlich. Der stellvertretende Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, warf dem Wirtschaftsrat vor, er betreibe „Desinformation und Panikmache“ und versuche, „Junge gegen Alte gegeneinander auszuspielen“. Tatsächlich sei die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren eine „Anerkennung der Lebensleistung derer, die mit 17 Jahren in die Ausbildung gegangen sind“.
Zudem könnten nur die Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1951 und 1952 mit 63 Jahren abschlagsfrei in die Rente gehen, danach steige die Altersgrenze bis 2029 auf 65 Jahre. Damit sei sie auch finanzierbar. Im Übrigen verwiesen die Sozialpolitiker in der Unionsfraktion darauf, dass die Rente mit 63 Teil des Koalitionsvertrages sei, der auf einem kleinen CDU-Parteitag ohne Gegenstimme bei lediglich zwei Enthaltungen angenommen wurde. Man könne nicht von der SPD verlangen, sich beim Thema Doppelpass an den Koalitionsvertrag zu halten, und ihn selber bei der Rente mit 63 infrage stellen, heißt es in der Unionsfraktion.
Wolfgang Steiger versteht dagegen die Aufregung der eigenen Parteifreunde nicht. „Die CDU sollte nicht in die alte, rückwärtsgewandte ,Die Rente ist sicher‘-Rhetorik der 80er und 90er Jahre zurückfallen. Damit lässt sich heute keiner mehr einlullen“, sagt er gegenüber unserer Zeitung. Erst durch die Reformen der letzten Jahre sei die Rente sicherer geworden. Zudem werde sie wieder unsicherer, „wenn die Rente mit 63, wie von Frau Nahles vorgeschlagen wird, umgesetzt wird“.
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