Klare Verhältnisse
Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern wird es am Sonntag kaum Überraschungen geben. Die CDU will Rot-Rot verhindern
Sassnitz Dafür, dass jetzt gleich der Ministerpräsident kommt, ist erstaunlich wenig los auf dem Markt von Sassnitz. Beim Obsthändler decken sich ein paar Urlauber mit Äpfeln ein, ein älteres Ehepaar hat sich vor dem Regen unter einen schmalen Dachvorsprung geflüchtet – und am Stand der SPD singt ein Alleinunterhalter tapfer gegen das schlechte Wetter an. Erwin Sellering, der an diesem Vormittag Wahlkampf auf Rügen macht, steigt lächelnd aus seiner Limousine. Er hat einen Bund Rosen dabei, die er in den nächsten eineinhalb Stunden an die Sassnitzer verteilen will. Nur mit den Sassnitzern selbst hapert es noch. Die nämlich machen sich rar.
Eine Autostunde weiter, in Wolgast, hat Helmut Holter ähnliche Sorgen. Der Spitzenkandidat der Linkspartei schlendert durch die Fußgängerzone – aber niemand interessiert sich für ihn. Dem 58-Jährigen geht es wie Sellering mit seinen Rosen: Von den roten Tüten voller Informationsmaterial bringt er kaum eine an den Mann bzw. die Frau. Holter hat viel Zeit, die Auslagen der Geschäfte zu studieren.
Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern: Das ist nicht nur wegen des durchwachsenen Wetters eine eher triste Angelegenheit. Vor der Wahl am Sonntag deutet alles darauf hin, dass der 61-jährige Sellering sein Amt souverän verteidigt. Innenminister Lorenz Caffier, der Herausforderer von der CDU, lässt sich zwar bei seinen Auftritten von den örtlichen Funktionären gerne als „künftiger Ministerpräsident“ vorstellen. Der gebürtige Dresdner aber ist Realist genug, um zu wissen, dass es so weit kaum kommen wird. Er hat vor allem ein Ziel: Rot-Rot zu verhindern. Ein Mann wie Holter, der an der kommunistischen Parteihochschule in Moskau studiert hat, als Wirtschaftsminister? „Das hieße ja“, sagt Caffier, „den Bock zum Gärtner zu machen.“
Acht Jahre hatte der bärbeißige Harald Ringstorff mit der PDS regiert, ehe er 2006 eine Koalition mit der CDU schloss und zwei Jahre später sein Amt seinem Sozialminister Sellering überließ, der aus dem Ruhrgebiet stammt und 1994 als Richter nach Greifswald kam. Doch obwohl die Arbeitslosenzahlen gesunken und die Schulden nicht mehr gestiegen sind, will er sich nicht auf eine Fortsetzung der Großen Koalition festlegen. „Das entscheiden wir nach der Wahl“, sagt Sellering. „Die Linke als nicht regierungsfähig zu verteufeln, wäre unehrlich.“
Unter anderen Umständen hätte er womöglich noch weniger Scheu, sich auf eine neue Liaison mit der Linkspartei einzulassen. Deren jüngste Debatten über Wege zum Kommunismus, die Notwendigkeit der Mauer oder die revolutionäre Lebensleistung von Fidel Castro allerdings haben auch entlang der Ostseeküste ihre Spuren hinterlassen. In den Umfragen ist die Linke auf weniger als 17 Prozent gefallen. Entsprechend gereizt reagiert Holter, wenn er auf die Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst angesprochen wird: „Was aus Berlin kommt“, sagt er dann grimmig, „ist wenig hilfreich.“ Vor zwei Jahren durfte er noch davon träumen, der erste linke Ministerpräsident zu werden, so gut lag seine Partei da in einigen Umfragen. Heute muss er froh sein, wenn Sellering ihn als Juniorpartner zurück ins Boot holt.
Die Mecklenburger in ihrer unaufgeregten Art allerdings scheint diese Aussicht nicht sonderlich zu schrecken. Lorenz Caffier jedenfalls tut sich schwer, ihnen ein rot-rotes Bündnis als ersten Schritt in den Ruin des Landes zu verkaufen. Der Herausforderer von der CDU steht auf dem Marktplatz von Greifswald, hat ein besorgtes Innenministergesicht aufgesetzt und gerade heftig über die ewig Gestrigen in der Linkspartei gewettert, die selbst am Jahrestag des Mauerbaus die Opfer der Teilung noch verhöhnt hätten. Der anschließende Applaus aber fällt allenfalls pflichtschuldig aus, was auch daran liegt, dass Caffier wie Sellering ein eher spröder Redner ist und auf großen Bühnen stets ein wenig fehl am Platz wirkt.
Mit Werten zwischen 26 und 28 Prozent liegt die CDU im statistischen Niemandsland, es gibt allerdings Mitglieder, die dieser Situation durchaus etwas Positives abgewinnen können. „Wenn wir stärkste Partei würden“, schmunzelt ein Funktionär in Greifswald, „stellen wir nicht den Ministerpräsidenten, sondern den Oppositionschef.“ In diesem Fall nämlich würde die SPD vermutlich nicht lange zögern – und mit der Linkspartei koalieren.
In Sassnitz hat Erwin Sellering sich inzwischen unter den roten Schirm am Stand der SPD geflüchtet. Gleich muss er weiter, nach Rostock, zum Seniorennachmittag, da hat er es wenigstens trocken. Als er vor 17 Jahren in den Osten zog, war er noch nicht einmal Mitglied der SPD – nun ist er der vielleicht unbekannteste Ministerpräsident der Republik, dafür aber einer mit einer Art Beschäftigungsgarantie. Wenn es wider Erwarten doch knapp werden sollte, wird Sellering allerdings eine Menge Geduld benötigen. Auf Rügen ist der CDU-Kandidat überraschend gestorben – der letzte Sitz im Landtag wird deshalb erst am 18. September vergeben.
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