Merkel in der Türkei in heikler Mission
Kanzlerin Angela Merkel weiß, dass sie die Türkei braucht. Das Dumme daran: Ihre Gesprächspartner wissen das auch.
Bei ihrem Besuch in der Türkei bewegt sich die Kanzlerin auf dünnem Eis. Angela Merkel weiß genau, dass Europa die Flüchtlingswelle ohne Hilfe der Türkei kaum bewältigen wird. Und das Dumme ist: Ihre Gesprächspartner in Istanbul wissen das auch. Sollte sie geglaubt haben, die erst am Freitag geschlossene Vereinbarung mit der Türkei sei die halbe Miete für eine Lösung des Problems, dann hätte sich die Regierungschefin jedenfalls getäuscht. Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Premier Ahmet Davutoglu sitzen am längeren Hebel, und das nutzen sie aus. Das Ringen um Zugeständnisse der EU als Gegenleistung für eine Unterstützung der Türkei bei der Eindämmung des Flüchtlingsstroms hat gerade erst begonnen.
Während Merkels Besuch wird schnell klar, dass es nicht nur, aber vor allem ums Geld geht: Drei Milliarden Euro Finanzhilfen haben die Europäer zugesagt. Das lässt die türkischen Gesprächspartner nur mit den Schultern zucken. Die Summe sei allenfalls als eine Art „Anzahlung“ annehmbar, teilt der Außenminister lapidar mit. Präsident und Premier legen noch einen drauf. Sie fordern nicht nur Geld, sondern auch Fortschritte im EU-Beitrittsprozess sowie Reiseerleichterungen für Türken in Europa.
In jüngster Zeit hatte die EU signalisiert, dass sie die Beziehungen zur Türkei trotz all der Beschwerden über autoritäre Tendenzen Erdogans und demokratische Rückschritte am Bosporus intensivieren will. Aus Rücksicht auf den umstrittenen Präsidenten verschob Brüssel sogar die Veröffentlichung des jährlichen „Fortschrittsberichts“, der offenbar sehr ungünstig für die türkische Regierung ausgefallen wäre.
Merkel kommt nicht mit leeren Händen zu Präsident Erdogan
Und auch Merkel kommt nicht mit leeren Händen. Sie sagt der Türkei noch für dieses Jahr die Eröffnung eines neuen Verhandlungskapitels in den geradezu komatösen Beitrittsverhandlungen zu. Die laufen schon seit 2005, kommen aber nicht von der Stelle. Die Kanzlerin weiß um ihre heikle Mission, zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in der Türkei. Sie will sich nicht in den Wahlkampf einmischen. Doch klar ist auch: Jedes Zugeständnis, das sie der Regierung macht, wird diese als eigenen Erfolg und Beweis ihres großen Einflusses auf die EU verkaufen.
So wird es auch mit den Visa-Erleichterungen für Türken bei Reisen nach Europa sein, für die sich Merkel einsetzen will. Sie spricht von einem „beschleunigten Visaprozess“, erinnert aber auch daran, dass dieses Thema mit einer Gegenleistung verknüpft ist: Die Türkei hat grundsätzlich zugesagt, im Gegenzug für Reiseerleichterungen mit dem Ziel der völligen Visafreiheit ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit der EU umzusetzen. Dieses würde die Türkei verpflichten, alle über ihr Territorium nach Europa gelangten Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Davutoglu sagt, er hoffe, dass die Visa-Freiheit für die Türken und das Rückübernahmeabkommen bereits Mitte 2016 umgesetzt werden können. Das wäre ein Rekordtempo. Doch die Türken wollen noch mehr: zum Beispiel die Teilnahme an EU-Gipfeln.
Gegner von Präsident Erdogan betrachten Merkels Besuch trotz aller Zurückhaltung als Wahlkampfhilfe. Da hilft es auch nicht, dass die Kanzlerin ihr Gastspiel in Istanbul und nicht in Ankara gab. So konnte sie aber wenigstens ein Treffen im skandalumwitterten Prunkpalast des Staatsoberhauptes vermeiden.
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