Ein Sieg zum Heulen
Mit Alexander Winokurow gewinnt ein Fahrer das olympische Straßenrennen, der schon wegen Dopings gesperrt war und einen Sieg gekauft haben soll
London Es wäre allzu schön gewesen: Ein Königssprint vor dem Buckingham Palace mit der Krönung Mark Cavendishs. Ein Spektakel, dem das United Kingdom seit einer Woche entgegengefiebert hatte wie zuletzt dem 60-jährigen Thronjubiläum der Queen. Dann kam alles ganz anders. Nicht die glorreichen Fünf der Tour de France rasten über den Londoner Paradeboulevard „The Mall“ dem Gold entgegen. Die Symbolfigur des Dopings im Peloton erkämpfte sich den Olympiasieg im Straßenradrennen: Alexander Winokurow. Der demnächst 39-Jährige weinte, als er vom Rad stieg. Olympia findet dessen Sieg zum Heulen.
Denn das Sündenregister des Kasachen ist so ansehnlich wie seine Siegesliste. Der skandalumwitterte Zeitgenosse war zweimal bei der Tour de France 2007 positiv auf Fremdblutdoping getestet und für zwei Jahre gesperrt worden. Nach einem Beschluss des IOC 2008 in Osaka hätten gedopte Athleten mit mehr als sechs Monaten Sperre nicht an den folgenden beiden Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Der Internationale Sportgerichtshof CAS kippte im Oktober 2011 jedoch diese „Null-Toleranz-Regel“.
Nach seinem Comeback geriet der skrupellose Trickser in den Verdacht, den Sieg beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich von seinem verbliebenen Konkurrenten, dem Russen Alexander Kolobnew, für 100000 Euro gekauft zu haben, was Winokurow ebenso bestritten hat wie seine Dopingvergehen. „Ich will nicht die Zielscheibe für all die Übel im Radsport sein“, pflegte er sich zu wehren.
Wie auch nach seinem Olympiasieg, den er mit einem Biss – der zweifellos auch seinem kämpferischen Charakter entspricht – auf die Goldmedaille zelebrierte. „Das Kapitel ist geschlossen. Jetzt ist nicht der Moment für dieses Thema“, kanzelte der Olympiazweite von Sydney 2000 (damals im deutschen Team Telekom) Fragen nach seiner skandalösen Vergangenheit ab.
Der routinierte Haudegen wählte sieben Kilometer vor dem Ziel den richtigen Augenblick zum entscheidenden Angriff aus einer 25-köpfigen Spitzengruppe, zusammen mit dem Kolumbianer Rigoberto Urán. Um diesen Außenseiter aus den Anden im Zweiersprint zu bezwingen, bedurfte es keines Bestechungsversuchs. Die Cleverness garantierte Winokurow den Sieg. Im Spurt um Bronze acht Sekunden später war der Norweger Alexander Kristoff der Schnellste.
Der große Pechvogel des Finales war Fabian Cancellera. Der Olympiazweite von Peking und Olympiasieger 2008 im Zeitfahren gehörte als aussichtsreicher Medaillenkandidat zum Spitzenpulk, stürzte aber 17 Kilometer vor dem Ziel in einer Kurve und krachte in eine Barriere. Zum Glück erlitt der Schweizer keinen Schlüsselbeinbruch wie im April. Ob aber die Schulterprellung einen Start zum Zeitfahren am Mittwoch zulässt, blieb offen.
Die britischen Beine waren müde
Die Enttäuschung der Briten ist so groß, wie es ihre Erwartungen waren. Zwar bestimmten Tour-Sieger Bradley Wiggins, Christopher Froome , Ian Stannard und David Millar 250 Kilometer und Fünfdreiviertelstunden lang das Tempo an der Spitze des Pelotons. Aber sie verhinderten keine Fluchtunternehmen. So machten sich viele renommierte Fahrer wie der belgische Klassiker-Spezialist Philippe Gilbert, Cancellara und eben auch Winokurow auf den letzten der neun Anstiege zum Box Hill davon und schlossen sich dem von Anbeginn führenden Dutzend an. Die britischen Beine waren zu müde, um das vorauseilende Rudel noch einzuholen.
Die „Vereinten Nationen“ des Radsports verhinderten den angestrebten Massenspurt Großbritanniens. Nur die Deutschen, von denen Tony Martin nach 180 Kilometern wegen Schmerzen an seiner blessierten Hand aufgab, griffen nicht an. „Wir haben uns auf eine Kooperation mit den Engländern eingelassen“, berichtete die enttäuschte Medaillenhoffnung André Greipel (26.). „Normalerweise sind sich zwanzig Fahrer vorne nicht so einig. Am Ende war es aussichtslos.“
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