Wenn aus Enkeln Fremde werden
In der Region Augsburg treffen sich Menschen regelmäßig, die sich selbst als „entsorgte Eltern und Großeltern“ bezeichnen. Die Ausgrenzung schmerzt an Weihnachten besonders.
Meitingen Frohe Weihnachten – die wird es für Christa Eber auch dieses Jahr nicht geben. Da mag das Kerzenlicht in den Zimmern noch so feierliche Stimmung verbreiten, das gemeinsame Festmahl noch so wohlschmeckend sein und die Bescherung noch so üppig ausfallen. Weihnachten ist für Christa Eber nicht mehr das, was es einmal war: ein Familienfest. Denn einen Teil ihrer Familie sieht sie nicht mehr, darf sie nicht mehr sehen.
Vier Kinder hat die 58-Jährige zur Welt gebracht. Eine Tochter aber will mit den Eltern nichts mehr zu tun haben. Mutter und Vater wissen nicht warum. Sie versuchen die Situation mit psychischen Auffälligkeiten der Tochter zu erklären, die inzwischen in Ostbayern lebt – mit ihrem acht Jahre alten Sohn Florian (Name geändert) und der abwehrenden Haltung ihres Ehemanns, den sie im Internet kennengelernt hatte und der nicht der leibliche Vater Florians ist. Die Tochter möchte keinen Kontakt mehr zum Elternhaus. Und auch der Enkel soll nicht mehr zu Oma und Opa, obwohl ihn die Großeltern sechs Jahre lang großgezogen hatten, weil sich Florians Mutter – sitzen gelassen vom Erzeuger – damals nicht in der Lage dazu sah, sich ausreichend um ihren Sohn zu kümmern.
Die Situation eskalierte weiter – bis hin zum Vorwurf und gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Großmutter habe ihren Enkel aus der Schule entführen wollen. Vom Umgangsrecht mit Florian sind die Ebers für zwei Jahre ausgeschlossen worden: Viel Zeit, um den bald Neunjährigen von den Großeltern weiter zu entfremden, ist die Oma fest überzeugt.
Wie viel Leid sich unter deutschen Dächern verbirgt, kann Simone Strohmayr, familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag, nur erahnen. Im Frühjahr hatte die Kinderkommission des Landtags zum Fachgespräch über dieses „relative Tabuthema“ (Strohmayr) geladen. Der Politikerin wurde durch die intensive Vorbereitung auf die Anhörung bewusst, dass es nur wenige wissenschaftliche Studien zu der Entfremdungs-Problematik gibt – dafür aber erhebliche Defizite in der statistischen Erfassung. Im Jahr 2008 war etwa jeder zehnte Minderjährige in Bayern von der Scheidung der Eltern betroffen. Mehr als 22000 Kinder und Jugendliche sind das gewesen – das entspricht einer Stadt, die von der Bevölkerungszahl her ungefähr so groß wie Günzburg ist. Überhaupt nicht berücksichtigt sind dabei die Trennungskinder von unverheirateten Paaren.
Neben der Verbesserung des Datenmaterials empfahl die Kinderkommission aber auch der Politik, ihre Hausaufgaben zu machen. Sie soll überlegen, wie man das Wohl des Kindes besser in den Mittelpunkt stellen kann und was zu tun ist, um eine Trennung zweier Menschen hinzubekommen, ohne dass dabei Dritte über Gebühr darunter zu leiden haben. Eine der Forderungen ist eine verbindliche Fortbildung der Familienrichter mit dem Ziel, nicht nur juristisch zu einer Lösung zu kommen, sondern stärker noch psychologisch und moderierend einwirken zu können.
Es fehlt an der Kompetenz der Experten
Rechtsanwalt Jürgen Rudolph, fast 30 Jahre Familienrichter und Ideengeber des sogenannten Cochemer Modells (siehe Info), beklagt das „erwachsenenfokussierte Kindschaftsrecht“ und die fehlende Kompetenz der in Familienkonflikten tätigen Experten – von Beratungsstellen über Jugendämter und Sachverständige bis hin zu Familiengerichten. „Die Verhältnisse in Deutschland sind teilweise archaisch und tragen in der Regel dazu bei, dass Konflikte eskalieren statt zu deeskalieren. Das hängt damit zusammen, dass es uns schlicht und ergreifend an Informationen, an Techniken – insbesondere an Techniken der Arbeit und der Kooperation – und an der Ausbildung mangelt“, sagte Rudolph bei dem Fachgespräch vor der Kinderkommission. Der Vorschlag des Gremiums, eine interministerielle Arbeitsgruppe zwischen Justiz- und Sozialressort einzurichten, stieß bislang nicht auf fruchtbaren Boden. Strohmayr kündigte gestern an, nachzuhaken: „Das Problem wird dort bislang als nicht wichtig genug erachtet.“
Christa Eber hat nicht abgewartet, bis etwas geschieht. Sie leitet seit eineinhalb Jahren die Selbsthilfegruppe „Entsorgte Eltern und Großeltern“, die sich einmal im Monat in Meitingen (Kreis Augsburg) trifft. Zehn Personen kamen zur Dezember-Sitzung. An kahl geschmückten Gasthaustischen sitzen die Betroffenen, holen sich Rat, tauschen sich aus und merken, dass sie mit ihren Geschichten, die menschliche Abgründe offenbaren, nicht allein sind. Die hohen Mauern aber, die zwischen ihnen und anderen Familienmitgliedern stehen, können sie bei der Zusammenkunft nicht zum Einsturz bringen, sich höchstens Zuspruch holen. Christa Eber weiß das aus eigener Erfahrung. Kurz vor Weihnachten 2010 hat sie in einem Brief an ihren Schwiegersohn um Frieden für die Familien und vor allem für die Kinder gebeten. Der aber will nichts davon wissen. Kontakt ist nicht erwünscht. „Eure Familiengeschichte ist mir auch egal“, mailte er zurück. Und einen Tipp an die Schwiegermutter hatte er ebenfalls: „Kauf dir Monopoly gegen die Langeweile.“
Nächstes Treffen 9. Januar 2012 um 19 Uhr, Gasthof Alte Post in Meitingen. Kontakt Christa Eber: 08273/559912
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