Seehofers riskantes Spiel
Die CSU gibt sich unbeugsam, hat aber bisher noch jeden Beschluss im Bundestag abgenickt.
Im Tauziehen um die Euro-Rettung spielt Bayerns Ministerpräsident Seehofer ein altes, von der CSU in langen Jahren erprobtes Strategiespiel. Die Partei will in Berlin Regierungs- und Oppositionspartei in einem sein, um daheim in Bayern bei Bedarf auch mal Stimmung gegen eine unionsgeführte Bundesregierung machen zu können und nicht als Anhängsel der großen Schwester CDU zu gelten. Die CSU als eigenständige, bayerische Interessen vertretende Partei, die ein letztes Bollwerk konservativer, in diesem Fall der Geldwertstabilität verpflichteter Politik bildet: Auf solche Inszenierungen hat man sich schon zu Zeiten von Strauß, Waigel und Stoiber verstanden.
Unter der Regentschaft Seehofers allerdings ist die geschmeidige, mit überraschenden Volten kombinierte Vorführung des Spagats zur Dauerübung geworden. Früher wusste man in etwa, wo die CSU steht und welche Grundüberzeugungen ihr Tagesgeschäft leiten. Heute wirkt die Partei gelegentlich so, als ob sie aus nackter Angst vor dem Machtverlust in Bayern ohne Kompass handelte. Die alte Souveränität jedenfalls ist dahin, die Konzentration auf die Verteidigung der Macht in Bayern mit einem Verlust an Weltläufigkeit verbunden.
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Bundestags- und Europaabgeordnete der CSU europapolitische Wortmeldungen aus München als „provinzielles Gemeckere“ abtun und die früheren Vorsitzenden Waigel und Stoiber vor einer Vernachlässigung des europapolitischen Gestaltungsanspruchs warnen. Denn gerade im Streit um die Euro-Rettung, dem zur Stunde mit Abstand bedeutendsten Thema der Politik, bietet die CSU das diffuse Bild einer nervösen Regionalpartei, die im Zweifelsfall auf eigene Rechnung arbeitet und sich um besserer Wahlchancen willen vom eigenen Regierungshandeln in Berlin distanziert. Dass Seehofer dem zu europafeindlichen Tönen neigenden Freie-Wähler-Chef Aiwanger das Wasser abzugraben und den Euro-kritischen Bürgern eine Stimme zu geben versucht, ist sein Job als Vorsitzender einer Volkspartei. Und wer, wenn nicht gerade auch die CSU, soll darüber wachen, dass im Sog der Schuldenkrise keine radikale, mit nationalistischen Parolen operierende Partei rechts von der Union entsteht?
Die Gefahr ist umso akuter, als ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die Hilfszahlungen für überschuldete andere Staaten ablehnt und die Interessen deutscher Steuerzahler von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen nicht hinreichend wahrgenommen fühlt. Auch ist vieles von dem, was die CSU gegen die drohende Vergemeinschaftung der Schulden oder einen zentralistischen europäischen Bundesstaat ins Feld führt, richtig. Das Problem ist nur: Die CSU gibt sich unbeugsam und als eiserne Wächterin der Währung, hat aber bisher noch jeden Beschluss im Bundestag abgenickt. Man benennt „rote Linien“ und überschreitet sie. Seehofer lässt seinen Generalsekretär Dobrindt gegen den Griechenland-Kurs der Kanzlerin und gegen den EZB-Chef Draghi holzen – und befindet anschließend, Merkel liege „goldrichtig“. Die CSU stimmt den Euro-Rettungspaketen zu, setzt sich immer wieder ein bisschen davon ab und düpiert die eigene Kanzlerin. Der CSU-Vorsitzende droht mit Koalitionsbruch, obwohl jeder weiß, dass die CSU keine Lust auf Selbstmord hat.
Ob der Wähler am Ende noch weiß, was die CSU eigentlich will? Es ist ein riskantes Spiel, das der Instinktpolitiker Seehofer da spielt – weil es Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Partei sät, keine klare Richtung in der Sache erkennen lässt und zu offenkundig vor allem auf den Beifall des Publikums zielt.
Die Diskussion ist geschlossen.