Warum musste Trayvon Martin sterben?
Ein Fall aus Florida wühlt die ganze Nation auf: Weißer Nachbarschaftsschützer erschießt unbewaffneten schwarzen Jungen. War es eine rassistische Tat? Oder Selbstverteidigung?
Der Fall Trayvon Martin reißt in den USA überwunden geglaubte Gräben auf: Obwohl die Untersuchung erst begonnen hat, versinkt das Land in einer erbitterten Debatte über Rassismus, die sich zunehmend vom Tathergang löst.
Tausende fordern bei Demonstrationen Gerechtigkeit für den schwarzen Teenager, der im Februar von einem weißen Nachbarschaftswächter erschossen wurde, obwohl er keine Waffen bei sich hatte. Sie wollen endlich den Schützen angeklagt sehen, der untergetaucht, aber immer noch auf freiem Fuß ist. Und sie verlangen harte Konsequenzen für die Behörden in Sanford, Florida, die sich erst nach wochenlangen Protesten zu einer Untersuchung bequemten.
Den meisten gilt der Fall als Beleg für fortdauernden Rassismus besonders im Süden des Landes. Doch die Verteidiger des Schützen machen ebenfalls mobil und bringen vermeintliche neue Informationen ans Licht.
Tagelang haben sich Fernsehzuschauer warnen lassen, ihre Kinder aus dem Wohnzimmer geschickt und dann versucht, einer verrauschten Notrufaufnahme die entscheidenden Worte abzulauschen: „Fucking coons“ (etwa: Scheißneger). Das soll Nachbarschaftsschützer George Zimmerman, 28, Sohn eines Weißen und einer Latina, gesagt haben – bevor er den 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin erschoss, angeblich in Selbstverteidigung. Wenn ihm ein rassistisches Motiv nachweisbar wäre, könnten Bundesbehörden das Verfahren an sich ziehen, eine Forderung, für die Trayvons Eltern sogar in Washington demonstrierten. Bekannte Zimmermans bestreiten jedoch, dass dieser ein Rassist sei.
„Wenn ich einen Sohn hätte, sähe er aus wie Trayvon“, hatte Präsident Obama am Freitag an die Adresse der Eltern gesagt. „Wir alle müssen in uns gehen, um herauszufinden, wie so etwas geschehen konnte.“ Das Statement kam spät und nach bohrenden Fragen der Schwarzenbewegung. Aber es genügte, um auf der Gegenseite Empörung zu provozieren: Die Sätze des Präsidenten seien infam, wetterte Newt Gingrich, der zu Obamas republikanischen Herausforderern gehört. „Will der Präsident andeuten, dass es in Ordnung wäre, wenn ein Weißer erschossen worden wäre, der nicht aussieht wie er selbst?“
Weniger provokante Kommentatoren forderten, mit endgültigen Urteilen zu warten, bis die Fakten auf dem Tisch liegen. Aber sie fanden kaum Gehör: Zu den Hauptvorwürfen der Demonstranten gehört ja eben, dass sich die Polizei lange gar nicht bemüht habe, Fakten zu sammeln. Dass Zimmerman durch sein Recht auf Selbstverteidigung und Floridas berüchtigtes „Stand your ground“-Gesetz (Weiche-nicht-zurück-Gesetz) gedeckt gewesen sein soll, halten sie für absurd: Der Teenager trug nur Bonbons und Eistee bei sich. Und auf den Aufnahmen der Notrufe, die Zimmerman von seinem Handy aus absetzte, ist zu hören, wie er gegen den Rat der Beamten beschließt, den Jungen zu verfolgen.
Inzwischen kursieren allerdings neue Darstellungen des Falles: Demnach soll Zimmerman der Polizei auf der Wache telefonisch mitgeteilt haben, er habe Martin nicht finden können und sei zu seinem Auto zurückgekehrt. Dort habe ihn Martin von hinten angesprochen und nach einem Wortwechsel niedergeschlagen. Anschließend habe der Jugendliche Zimmermans Kopf auf den Gehweg geschlagen. Nach Angaben von Zimmermans Anwalt hat sein Mandant eine gebrochene Nase.
Der Fernsehsender ABC präsentierte einen 13-jährigen Schwarzen, der gesehen haben will, dass Zimmerman auf dem Boden lag. Das „Stand your ground“-Gesetz berechtigt jeden, der sich nachvollziehbar bedroht fühlt, zur Anwendung tödlicher Gewalt. CNN allerdings präsentierte weiße Zeuginnen, die Martin auf dem Boden und Zimmerman stehend gesehen haben wollen. Ihre Aussagen decken sich eher mit denen von Martins Freundin, die kurz vor den Schüssen mit ihm telefoniert haben soll.
Die Anwälte der Familie Martin werfen der Polizei vor, Zimmermans Aussagen bewusst an die Medien zu geben, um den getöteten Jungen zu dämonisieren. Das Entscheidende sei aber, dass er ihn überhaupt verfolgt habe.
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