Geiselnehmer-Prozess: Angeklagter ist laut Arzt verhandlungsfähig
Der Prozess gegen den mutmaßlichen Geiselnehmer von Ingolstadt zieht sich. Die Beweisaufnahme konnte am Montag aber fortgesetzt werden. Ein Arzt erklärte den Angeklagten für verhandlungsfähig.
Es konnte dann – wie vorgesehen – vor der Großen Strafkammer weiterverhandelt werden. Auch den Antrag auf Wiederholung der Hauptverhandlung lehnte Richter Jochen Bösl schließlich ab. Bis es am dritten Verhandlungstag im Geiselnehmer-Prozess am Landgericht Ingolstadt allerdings soweit war, verging einige Zeit.
Wie berichtet, war es vergangenen Donnerstag, dem zweiten Prozesstag, zum Eklat gekommen. Der 25-jährige Angeklagte hatte dort nicht nur den Richter angefahren und den Staatsanwalt beschimpft, er hatte schließlich die gesamte Kammer abgelehnt und – gegen den Rat seines Pflichtverteidigers – einen Befangenheitsantrag gestellt. Der Prozess hatte unterbrochen werden müssen.
Zeugin wurde vom Angeklagten jahrelang gestalkt
Der psychisch kranke Angeklagte hatte angeführt, sich im Kaisheimer Gefängnis eine Gehirnerschütterung zugezogen zu haben. Und weil das Gericht von seinem schlechten Gesundheitszustand gewusst und ihn dennoch vorgeladen habe, lehne er es ab. Denn er könne sich an kaum etwas vom ersten Verhandlungstag erinnern. Vor allem von der Aussage der Sekretärin des Dritten Bürgermeisters, die zum Prozesstag in den Zeugenstand getreten war, wisse er nichts mehr.
Die ist als eine der Geiseln aber nicht nur die wichtigste Zeugin, sie wurde auch über Jahre von dem in dieser Sache vorbestraften Angeklagten gestalkt. Die Zurückweisung dieser Frau soll eines der Motive für die Geiselnahme im alten Rathaus vergangenen Sommer gewesen sein. Entsprechend schwer war der Vorzimmerdame ihr Auftritt vor Gericht gefallen und entsprechend groß war die Sorge ihres Anwalts, dass sie diesen wiederholen müsse.
Das wird sie nicht. Richter Bösl ließ den Angeklagten am Montag zunächst mal vom Landgerichtsarzt untersuchen, der ihn für verhandlungsfähig erklärte. Bis zum Mittag dann begründete er dem Angeklagten, warum seine Anträge abgelehnt würden. Das Gericht hatte es sich bis dahin nicht leicht gemacht, die Sitzung war immer wieder unterbrochen worden.
Zum einen, so Bösl, sei der Angeklagte zum Prozessauftakt gefragt worden, ob er der Verhandlung folgen könne. Was er bejaht habe. Zum anderen habe er während der Verhandlung einen wachen Eindruck gemacht, sich mit seinem Anwalt beraten und es gebe keinen Hinweis darauf, dass er dem Geschehen im Gerichtssaal nicht folgen könne.
"Ordentlich Sterne gesehen und gereihert"
Eine Gehirnerschütterung als Folge der Kopfverletzung, die sich der Angeklagte aus nicht genannten Gründen an dem Freitag vor Prozessauftakt in Kaisheim zugezogen hatte, schloss das Gericht nach Rücksprache mit dem psychiatrischen Gutachter Béla Serly aus. Der konnte – ohne exakte medizinische Kenntnis der Kopfverletzung – zumindest aus neurologischer Sicht zwar keine Erklärung für den behaupteten Gedächtnisverlust des Angeklagten geben, legte sich in Sachen Gehirnerschütterung aber fest. Denn der Angeklagte sagte vor Gericht selbst, dass er zwar „ordentlich Sterne gesehen und gereihert habe“, nicht aber bewusstlos gewesen sei. Obwohl es zwischendrin so ausgesehen hatte, als würde die Verhandlung tatsächlich neu begonnen, wurde also weiterverhandelt.
Befragt wurde der forensische Psychiater Christian Graz aus München, der den Angeklagten in dem der Geiselnahme vorausgegangen Stalking-Prozess begutachtet hatte. Er wiederholte gestern seine Einschätzung von damals: Eine erhebliche Straftat oder gar eine Geiselnahme sei nicht vorhersehbar gewesen.
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