Überfüllte Frauenhäuser: Viele bedrohte Frauen werden abgewiesen
Weil es keinen Platz in Frauenhäusern gibt, werden in Bayern Hunderte Frauen abgewiesen, die von Gewalt bedroht sind. Auch Anna H. und ihren vier Kindern erging es zunächst so.
An jenem Herbsttag im vergangenen September, als Anna H. die Tür ihrer Wohnung zum letzten Mal hinter sich schließt, beginnt ihr neues Leben. Ihr altes lässt sie zurück. Nur Bruchstücke davon hat sie gerettet, in ein paar Koffer gepackt und mit in die neue Welt genommen. Eine Welt ohne Angst. Ohne einen ausrastenden Ehemann, der massiv gewalttätig ist. Seit acht Monaten lebt die Frau mit ihren vier Kindern im Frauenhaus in Neu-Ulm. „Zu meinem Mann gehe ich nie mehr zurück“, sagt sie.
Anna H. sitzt in einem Besprechungsraum der Arbeiterwohlfahrt in Neu-Ulm. Während sie spricht, blickt sie oft hinunter auf ihre schwarzen Stiefeletten, knetet die Hände. Eigentlich heißt Anna H. anders. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht. Auch nicht die Adresse des Frauenhauses. Denn die Anonymität ist für sie und die anderen Frauen, die vor ihren gewalttätigen Männern geflohen sind, der größte Schutz. Nicht einmal ihre Eltern wissen, wo sie lebt.
Die meisten Frauenhäuser in Bayern sind laut einer Studie restlos überfüllt
In ganz Bayern suchte die Polizei für sie nach einem Zimmer in einem Frauenhaus. „Aber es gab keinen Platz für eine Mutter mit vier Kindern“, sagt Anna H. In Neu-Ulm bekam sie schließlich die Chance auf ein neues Leben. Dass es für Anna H. gar nicht so einfach war, einen Zufluchtsort zu finden, verwundert angesichts einer Studie der Universität Erlangen-Nürnberg nicht. Denn die zeigt: Die meisten Frauenhäuser im Freistaat sind restlos überfüllt. Nur die Hälfte der in einer akuten Gewaltsituation Schutz suchenden Frauen wird aufgenommen. Im Untersuchungsjahr 2014 wurden insgesamt 2845 Frauen wegen Platzmangels abgelehnt. Nur etwa 1000 von ihnen kamen beim zweiten oder dritten Anlauf unter.
Ein Grund für dieses Problem: Die Frauen bleiben immer länger in den Einrichtungen. Denn günstiger Wohnraum ist in Bayern Mangelware. Das bestätigt auch Petra Dekinger, Mitarbeiterin im Frauenhaus Nordschwaben in Donauwörth, das derzeit überbelegt ist. „Früher blieben die Frauen im Schnitt vier bis sechs Wochen. Heute wohnen sie ein Jahr oder länger hier, weil sie einfach keine Wohnung finden.“ Mehrmals pro Woche komme es in Donauwörth vor, dass eine Frau abgewiesen werden muss, sagt Dekinger.
Wer die Kosten für den Aufenthalt übernimmt, ist häufig nicht klar
Platzmangel ist nicht das einzige Problem. In etwa 300 Fällen ist nach den Ergebnissen der Universitätsstudie nicht klar, wer die Kosten übernimmt. Das betrifft vor allem Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Und mehr als 200 Frauen waren psychisch so stark beeinträchtigt, dass sie nicht aufgenommen werden konnten. Auch wegen Suchterkrankungen wurden Frauen abgewiesen.
Insgesamt gibt es in Bayern 40 Frauenhäuser mit 367 Plätzen für Frauen und 456 für Kinder. Nicht viel, wenn man sich die Statistik ansieht, nach der jährlich etwa 140000 Frauen in Bayern seelische oder körperliche Gewalt erleben. 90000 werden sogar schwer misshandelt. „Im Schnitt sind die Frauen sieben Jahre in einer gewalttätigen Situation. Nach etwa einem Jahr fangen sie meist an, die Situation ernsthaft in Frage zu stellen“, sagt Emmy Megler, Leiterin des Neu-Ulmer Frauenhauses. Manchmal dauert es länger, bis sich die Frauen trauen, einen Schlussstrich zu ziehen. Das zeigt auch die Geschichte der ältesten Bewohnerin des Frauenhauses: Nachdem ihr Mann sie 52 Jahre lang geschlagen hatte, hat sie den Schritt, sich von ihm zu trennen, doch noch gewagt. Mit 73 Jahren.
Auch Anna H. ging nicht gleich nach dem ersten Ausraster ihres Mannes. 2008 fing die Gewalt zu Hause an. Bis sie ihn verließ, dauerte es Jahre. „Ich habe manchmal gedacht, es wird wieder besser“, erzählt die vierfache Mutter. Im Neu-Ulmer Frauenhaus lebt sie nun mit ihren Kindern auf 20 Quadratmetern, teilt sich Küche, Bad und Wohnzimmer mit den anderen Frauen, die ebenfalls ihr altes Leben und die häusliche Gewalt zurückgelassen haben.
Den Kindern gehe es gut, sie besuchen in Neu-Ulm den Kindergarten und die Grundschule, sagt Anna H. Nach ihrem Vater würden sie nicht fragen. „Es ist wirklich eine große Erleichterung. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich habe mich selbst gefunden. Ich bin stark geworden.“
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