Wie ein Knast in die neue JVA Gablingen umzieht
Bayerns modernste Justizvollzugsanstalt ist endlich in Betrieb. Die ersten Zellen in Gablingen sind belegt. Wie 73 Straftäter an einem Tag ihre Koffer packen.
Andreas F.* ist der Letzte in seiner Zelle. Die beiden anderen Häftlinge, mit denen er sich den Raum geteilt hat, sind schon unterwegs. Vor zwei Monaten trat der wegen Drogendelikten verurteilte Mann seine Haftstrafe an. Es ist das erste Mal, dass er im Gefängnis sitzt. „Und es ist auch das letzte Mal“, ist sich der 33-Jährige mit der Glatze und den tätowierten Armen sicher. Er wirkt freundlich, höflich, wenn er das sagt, und lächelt dabei. Seit er hier war, teilte er sich die rund 16 Quadratmeter mit bis zu drei anderen Häftlingen. Andreas F. hatte noch das beste von den vier Stockbetten: Sein Blick ging über Gitterfenster auf den Innenhof.
Das ist jetzt gleich vorbei. Es ist Dienstagmorgen, und es ist der letzte Tag für den Mann in dieser Gefängniszelle im Augsburger Hochfeld. Heute ziehen er und alle anderen Insassen nach Gablingen um. Das liegt vor den Toren der Stadt. In viereinhalb Jahren wurde dort für 105 Millionen Euro das modernste Gefängnis Bayerns und wohl auch Deutschlands gebaut. Dort gibt es Platz für 609 Straftäter. Einer davon wird Andreas F. sein. Bis März geht seine Haftstrafe noch.
Dem Bau der neuen Justizvollzugsanstalt gingen rund 40 Jahre Planung voraus; der Wunsch nach einem neuen Gefängnis im Raum Augsburg ist alt. Deutlich älter sind die Behausungen, in denen bislang in Augsburg die Häftlinge untergebracht waren. Das Gelände an der Karmelitengasse wird seit dem 19. Jahrhundert als Gefängnis genutzt. Ebenfalls im 19. Jahrhundert wurde der Altbau in der Hochfeldstraße als Teil der damaligen Kaserne errichtet. Seit 1946 gibt es dort den Anbau, der schon von den US-Amerikanern als Gefängnis genutzt wurde.
An der Stelle der Zellen sollen Luxuswohnungen entstehen
Das Jahr 2015 bedeutet für Augsburg einen Einschnitt. Sehr bald schon wird es in der drittgrößten Stadt Bayerns keinen einzigen Häftling mehr geben, zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Die Stadt wartet sehnlichst darauf, dass die beiden Areale in begehrter Wohnlage frei werden. Für den Bereich rund um die Hochfeldstraße gibt es bereits seit 2006 einen Bebauungsplan, der ein Mischgebiet mit Wohnungen und nicht störendem Gewerbe vorschreibt. Bei der Karmelitengasse unweit des Doms ist zwar noch nichts entschieden. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass an der Stelle der einstigen Zellen künftig Luxuswohnungen entstehen werden.
Bereits in den vergangenen Jahren wurde im unmittelbaren Umkreis der JVA in der Hochfeldstraße schon gebaut. Die Stadt ließ einen Park anlegen, ein Investor baute begehrte Wohnungen. Der Justizvollzugsbeamte Harald Königsdorfer erinnert sich: „Als in der Nachbarschaft gebaut wurde, hatten die Baufirmen Auflagen, dass sie mit ihrem Kran nicht zu nah an das Gebäude kommen sollten.“ Die Befürchtung der Justiz war, die Häftlinge könnten den Kran als Steighilfe verwenden und so aus dem Gefängnis ausbrechen. Königsdorfer, der selbst seit 34 Jahren im Strafvollzug arbeitet, ist vor etlichen Jahren mal ein Häftling auf ähnliche Weise entkommen: Über das Dach eines Betriebsgebäudes gelangte der junge Mann damals an die Freiheit. „Ich habe ihn aber selbst wieder eingefangen.“
Tabak und Kaffee als Luxusgegenstände
Jetzt hilft Königsdorfer gerade dabei, die Gefängnisse aufzulösen. Damit stimmt auch ein alter Spruch bald nicht mehr, den man sich in Augsburg über die Hochfeldstraße erzählt hat, wo auf der einen Seite der Friedhof liegt und auf der anderen Seite die JVA. „Das ist Augsburgs faulste Straße: Links liegen sie, rechts sitzen sie“, sagt Königsdorfer.
Andreas F. ist gerade von einem der Stühle in seiner Zelle aufgestanden. Die Zelle wird aufgesperrt, der Umzug geht auch für ihn los. Der Häftling hat wie alle anderen leichtes Gepäck. Bereits am Vorabend ist der persönliche Besitz jedes Insassen in einem Umzugskarton verpackt worden. Die Wäsche mit den privaten Kleidungsstücken wird in einem Wäschesack gesteckt und mit einer Plombe gesichert. Bleibt für jeden Häftling eine weiße Plastiktüte, in der jeder die Gegenstände hat, die für ihn noch bleiben. Bei Andreas F. sind das eine Packung Tabak, Kaffee, Waschsachen, eine Getränkeflasche und Briefe seiner Angehörigen und Freunde. Damit geht er jetzt aus dem Raum, der in den vergangenen zwei Monaten sein Zuhause war. Vor allem Tabak und Kaffee sind innerhalb der JVA wichtig, sagt der stellvertretende Leiter Stefan Loh: „Das sind Dinge, die sich die Häftlinge von dem Geld kaufen müssen, das sie hier verdient haben.“ Mit anderen Worten: Luxus.
Einzelzellen in der neuen JVA
Andreas F. hat sein Geld als Reinigungskraft verdient. Deswegen kennt er auch das neue Gefängnis in Gablingen. Dort hat er in den vergangenen Wochen schon geputzt und ist abends wieder von Gablingen nach Augsburg zurückgebracht worden. Jetzt also der andere Weg. „Ich freue mich auf das neue Gebäude“, sagt er. Damit sind auch die Tage in einer Mehrpersonenzelle vorbei. In Gablingen gibt es in aller Regel Einzelzimmer. Pro Trakt gibt es nur eine Zelle, in der mehrere Personen Platz haben.
Andreas F. wird die Tage in der Gemeinschaftszelle nicht vermissen: „Eigentlich war die Stimmung bei uns ganz okay, nur in den letzten Tagen ist der Tabak knapp geworden, da wurde es ein bisschen gereizter.“ Wenn ein Häftling in Gablingen nicht alleine in einer Zelle ist, liegt das daran, dass seine Zimmergenossen ihn beaufsichtigen sollen, weil er suizidgefährdet ist oder an Epilepsie leidet.
Möbel wurden von Häftlingen anderer Anstalten hergestellt
Zusammen mit fünf anderen Häftlingen wird Andreas F. in den Innenhof der Justizvollzugsanstalt gebracht. Bevor sie in den Transporter steigen, klicken die Handschellen, und die Straftäter werden angeschnallt, bevor es ins 20 Kilometer entfernte Gablingen geht. Den Transport erledigen gerade mal vier Minibusse, die den ganzen Tag zwischen Augsburg und Gablingen pendeln und dabei immer sechs Gefangene befördern. Von den 73 Insassen kommen 63 nach Gablingen, die restlichen zehn sind Untersuchungshäftlinge und werden vorerst noch in die Karmelitengasse gebracht.
Sämtliche Möbelstücke machen den Umzug nicht mit. Von den Fenstern über die Tische bis hin zu den Betten ist die komplette Einrichtung genauso neu wie das Gefängnis selbst. Das Besondere daran: Alle Möbel sind von Häftlingen aus anderen Anstalten hergestellt worden. In jedem Knast gibt es eigene Betriebe wie eine Schreinerei oder Schlosserei, die ihre Dienste sowohl Privatleuten als auch anderen Gefängnissen anbieten.
Als Andreas F. in Gablingen ankommt, erfüllen er und die anderen Straftäter aber noch eine andere Funktion: Mit ihnen wird in den kommenden Wochen der Probebetrieb in dem Hochsicherheitsgefängnis stattfinden. Die als weniger gefährlich eingestuften Männer – die meisten sind wie er zum ersten Mal in einem Gefängnis und haben Haftstrafen von maximal einem halben Jahr erhalten – sollen Teil des Probebetriebs sein, der in dem Gefängnis stattfindet.
Probelauf musste wegen technischer Probleme verschoben werden
Den gesamten November über sollen die Abläufe in dem Hightech-Gefängnis einstudiert werden, bevor die restlichen Straftäter aus Augsburg umziehen und der Vollbetrieb mit bis zu 609 Insassen aus ganz Bayern beginnt. Eigentlich hätte der Probelauf schon im Oktober stattfinden sollen, doch wegen technischer Probleme musste er auf die Zeit nach der offiziellen Eröffnung Ende Oktober verschoben werden. Ein Risiko wollte Zoraida Maldonado de Landauer, die Chefin des Gablinger Gefängnisses, auf keinen Fall eingehen. Denn dass ihr am ersten Tag in einer JVA ein Häftling ausbricht, ist ihr schon einmal passiert: Als sie vor 15 Jahren ihren Dienst in der JVA Niederschönenfeld antrat. Der Mann drückte damals einen der alten Steinquader des ehemaligen Klosters zur Seite und floh durch ein Loch in der Wand. Von dort aus ging es auf das Dach und in die Freiheit, unbemerkt vom Sicherheitspersonal.
Maldonado erinnert sich: „Die Videokameras, die erst kurz zuvor angebracht worden waren, haben nicht angeschlagen.“ Ein Fehler, der ihr nicht mehr passieren soll. In Gablingen sind alle über 200 Wärmebildkameras ausgiebig getestet worden. Teilweise wurden sogar Puppen an Seilen die Gefängnismauern heruntergelassen, um alle Funktionen zu prüfen. Es gibt einen Herzschlagdetektor, der blinde Passagiere im Inneren von Fahrzeugen erkennen soll. Dazu müssen sich alle Vollzugsbeamten vor ihrem Dienstbeginn ein Update auf ihren elektronischen Schlüssel laden, um das Gefängnis betreten zu können.
Als Andreas F. mit seiner Umzugsbox, einem Sack Bettwäsche und seiner weißen Plastiktüte die Gänge entlanggeht, um seine neue Zelle zu beziehen, erinnert nur wenig an das alte Gebäude. Die Gänge sind heller, wirken moderner. Das ist gewollt: Die Atmosphäre soll sowohl die Angestellten als auch die Insassen der neuen JVA positiv beeinflussen. Bald kann sich die Öffentlichkeit übrigens davon überzeugen: Am Wochenende des 21. und 22. November gibt es Tage der offenen Tür. Die JVA-Leitung rechnet mit über 30.000 Besuchern.
* Name geändert
Unsere Video-Serie "Im Knast – Hinter den Mauern der JVA Gablingen" führt exklusiv hinter die Kulissen von Bayerns modernstem Gefängnis. Die dreiteilige Gefängnis-Doku sehen Sie kostenlos auf YouTube – oder hier auf unserer Internetseite:
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