Wo sich Bürger gegen den Staat wehren
Am Verwaltungsgericht Augsburg können Menschen gegen Behörden klagen. Hier kämpfen auch Flüchtlinge um Asyl – schwierige Verfahren, sagt der scheidende Gerichtspräsident Ivo Moll.
Er war zwar mehr als 37 Jahre Verwaltungsrechtler, aber Ivo Moll hat in seinem Berufsleben viel Kurioses erlebt. Er hat mit einer Anwältin über die Existenz von Hexen und Zauberern diskutiert. Er musste einen Vater abweisen, dessen geschiedene Frau die gemeinsame Tochter hat taufen lassen. Einem Mann wurde der Waffenschein genommen, nachdem er jahrelang in der Ritze des Ehebetts eine Pistole versteckt und sich ein Schuss gelöst hatte. Und er gab Eltern recht, die dagegen geklagt hatten, dass ihr Sohn zur Strafe wochenlang die Unterrichtspausen vor dem Schulsekretariat verbringen musste.
Ivo Moll hat all diese Verfahren menschlich, humorvoll, geerdet und mit viel juristischem Sachverstand geführt. Doch zum Ende seiner Laufbahn rollt wieder ein ganz schwieriges Thema auf die Verwaltungsgerichte zu.
Am Montag hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Ivo Moll in den Ruhestand verabschiedet. Elf Jahre lang war der 65-Jährige Präsident des Verwaltungsgerichts (VG) Augsburg und das ist überraschend, denn Moll ist aktiver Sozialdemokrat. 32 Jahre lang saß er für die SPD im Stadtrat von Schwabmünchen, 24 Jahre lang im Kreistag des Landkreises Augsburg. Eine Bürgermeister- und eine Landratswahl hat er verloren.
Diese Kandidaturen seien ihm aber keine Herzensangelegenheiten gewesen, sagt Moll. Anders als sein Beruf. Den Verwaltungsgerichten, die dem Innenministerium unterstehen, schreibt Ivo Moll eine herausragende Bedeutung zu: „Wir überprüfen, ob der Staat die Gesetze richtig anwendet.“ Die Idee zum Aufbau solcher Gerichte hatten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen sollten eine unabhängige Einrichtung erhalten, wo sie sich gegen Behörden-Entscheidungen wehren können. Das war so neu, dass sie anfangs fremdelten. Doch als sie Vertrauen gefasst hatten, stieg die Zahl der Klagen rasch. Wohl auch, weil man am Verwaltungsgericht nicht zwingend einen Anwalt braucht.
Tausende klagten gegen die große Volkszählung
Und weil die Klagen aus allen möglichen Lebensbereichen der Bürger kommen, spiegelt sich in den Verfahren an den Verwaltungsgerichten die Entwicklung der Gesellschaft wider. Nach dem Krieg spielten Streitigkeiten über den Lastenausgleich für Vertriebene eine große Rolle. Gegen die große Volkszählung von 1987 klagten Tausende, weil sie sich überwacht fühlten. Seit einiger Zeit häufen sich Klagen gegen Windkraft- und Biogasanlagen.
Und nun kommt zum zweiten Mal nach den Balkankriegen eine riesige Welle von Asylverfahren auf das Verwaltungsgericht zu. Wenn Flüchtlinge einen Abschiebe-Bescheid bekommen, können sie dagegen am Verwaltungsgericht klagen. „Das sind schwierige Verfahren“, sagt Ivo Moll. In erster Linie gehe es um die Glaubwürdigkeit der Kläger. Droht ihm tatsächlich politische Verfolgung in seinem Land? Da Vertreter des Herkunftslandes in der Regel nicht anwesend sind, werde der Verwaltungsrichter in eine Art inquisitorische Rolle gedrängt, die unangenehm sei. Aber man müsse ja versuchen, der Wahrheit näherzukommen. „Eine Volksgemeinschaft hat das Recht, zu entscheiden, wem sie Asyl gewährt“, denkt Moll.
Aus humanitärer Sicht würde man den meisten Antragstellern gerne Asyl gewähren. „Wenn ich eine Familie im Kosovo hätte, würde ich auch schauen, dass ich alle rausbekomme. Aber wir müssen nach dem Gesetz entscheiden“, so Moll. 4,1 Monate dauern solche Verfahren zurzeit am VG Augsburg. Doch wenn die Welle erst richtig ins Rollen kommt, kann es bald länger dauern. Und das, obwohl Innenminister Herrmann den Verwaltungsgerichten für kommendes Jahr 16 neue Richterstellen, davon zwei in Augsburg, versprochen hat.
Mit dieser neuen Herausforderung wird sich dann Molls Nachfolger Nikolaus Müller beschäftigen.
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