Analyse: Einsatz wird "bewaffneter Konflikt"
Berlin (dpa) - Für die meisten deutschen Soldaten in Afghanistan ist die Sache schon lange klar: Sie führen Krieg. Die Politik hingegen drückte sich immer wieder um klare Worte.
Der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sprach von einem "Stabilisierungseinsatz", selbst als es unter den Bundeswehr-Soldaten längst schon Tote gab. Erst Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) prägte den Begriff von "kriegsähnlichen Zuständen", den sich dann auch die Kanzlerin zu eigen machte. Völkerrechtliche Bedeutung hatte dies aber nicht.
Seit Mittwoch gibt es von der schwarz-gelben Koalition nun erstmals eine offizielle Sprachregelung, die auch juristisch Bestand haben soll: In einer Regierungserklärung vor dem Bundestag bezeichnete Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die Lage in Afghanistan als "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts". "Ob uns das politisch gefällt oder nicht: So ist die Lage."
Die neue Einschätzung gilt ausdrücklich auch für den Norden des Landes, wo die Bundeswehr im Einsatz ist. Ziel ist es, ein "Höchstmaß an Rechtssicherheit" für die bald mehr als 5000 deutschen Soldaten zu schaffen. Wichtig ist das auch, weil viele Experten vermuten, dass das neue Afghanistan-Konzept der Bundesregierung ("Mehr Präsenz in der Fläche") zu noch mehr Auseinandersetzungen mit Aufständischen führen wird.
Die neue Sprachregelung ist das Ergebnis von zahlreichen Arbeitstreffen innerhalb der Regierung. Erst am Dienstag gab es eine letzte Runde, bei der auch Guttenberg und Westerwelle dabei waren. Der Verteidigungsminister hatte schon im November von einem "nichtstaatlichen internationalen Konflikt" gesprochen. Allerdings gab es dagegen im eigenen Ministerium Widerstand. Das Auswärtige Amt wartete deshalb auf eine klare Ansage aus dem Guttenberg-Haus. Jetzt lobte der CSU-Poltiker, dass ein "wichtiges politisches Signal" gesetzt worden sei.
Besonders schnell war die Politik damit aber nicht. Die meisten Völkerrechtler sind sich längst einig darin, dass es sich in Afghanistan um einen "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" zwischen Regierungsbehörden und organisierten bewaffneten Gruppen handelt - im Unterschied zu einem klassischen Krieg Staat gegen Staat. Dabei ist die Bundeswehr - zusammen mit den anderen ausländischen Truppen - nur eine der beteiligten "Parteien" an der Seite der afghanischen Regierung.
Auf sicherem juristischen Grund bewegen sich die deutschen Soldaten allerdings auch mit der neuen Regierungslinie noch nicht. Die deutsche Justiz ist daran in keiner Form gebunden, wenn sie über das Vorgehen von Bundeswehr-Angehörigen in Afghanistan entscheiden muss. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Frank Wallenta, stellte schon einmal klar, dass seine Behörde "eigenständig" entscheiden werde. Das gilt auch für den Tanklaster-Angriff von Kundus, bei dem es auf Befehl des deutschen Oberst Georg Klein bis zu 142 Tote und Verletzte gab.
Schwierig ist vor allem die Frage, wie zwischen Taliban-Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden ist. Einig sind sich die Völkerrechtler darin, dass Mitglieder organisierter bewaffneter Gruppen praktisch immer als "militärische Ziele" angegriffen werden dürfen. Jeder andere jedoch gilt zunächst einmal als Zivilist - selbst wenn er sich, wie es der Berliner Völkerrechtler Christian Schaller formuliert, "spontan, sporadisch oder unorganisiert" an Auseinandersetzungen beteiligt.
Andererseits stellt auch die "Verursachung militärischer Opfer" nicht in jedem Fall eine Verletzung des humanitären Völkerrechts dar. "Entscheidend ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit", sagt Experte Schaller von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Verboten bleiben Angriffe, bei denen damit zu rechnen ist, dass die Verluste in keinem Verhältnis zum erwarteten Vorteil stehen."
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