Am Ende haftet der Chef
Die Latte liegt hoch für Philipp Rösler. Bei Umfragewerten um die fünf Prozent müsste die FDP schon froh sein, wenn sie es im September wieder in den Bundestag schafft.
Ihr Vorsitzender jedoch wird seinen ganz persönlichen Härtetest nur bestehen, wenn sie auch wieder regiert. Erst dann, sagt er selbst, wäre die Wahl ein Erfolg. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die FDP aus dem Parlament fliegt oder in der Opposition landet, ist auch Rösler gescheitert.
Mit einem Bild von Claudia Roth und Sigmar Gabriel, das für einen Augenblick an die Wand hinter ihm geworfen wurde, hat der FDP-Chef die Partei auf einen klassischen Lagerwahlkampf eingeschworen. Motto: Die – oder wir? Steuererhöher gegen Konsolidierer. Bevormunder gegen Bürgerrechtler. Umverteiler gegen Erwirtschafter. Wo die Kanzlerin die Dinge im Diffusen belässt, spitzt Rösler zu. Die – oder wir? Es ist, ein wenig, wie einst bei Guido Westerwelle. Je plakativer die Botschaft, so das Kalkül dahinter, desto größer der Ertrag am Wahltag.
Das wirkt oft etwas aufgesetzt, soll die FDP aber unterscheidbar machen – als die Partei, bei der sich Leistung noch lohnt. Die Steuerpläne der Grünen sind so gesehen eine Steilvorlage für Rösler. Aber kann er, um im Bild zu bleiben, den Ball auch verwandeln? Wer bisher grün gewählt hat und nun das Gefühl hat, von der Partei seines Vertrauens rüde abkassiert zu werden, wechselt nicht so einfach zu den Liberalen. Dazu sind die Gräben zwischen beiden Welten zu tief.
An der Börse wäre die FDP im Moment eine Aktie, die auf niedrigem Niveau konsolidiert – mit einer verhalten optimistischen Kursprognose. Ganz so stark, wie sie sich schon wieder reden, sind die Freidemokraten nämlich noch nicht. Dass die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen deutlich besser waren als die Umfragen zuvor, ist zwar ein verführerischer Gedanke – aber auch ein gefährlicher. Die Populisten der neuen Anti-Euro-Partei fischen nicht zuletzt im Teich der Liberalen, Angela Merkels unaufgeregte Art spricht viele entnervte FDP-Anhänger an – und auch die Doppelspitze für den Wahlkampf hat durchaus ihre Tücken. Bei der SPD können Rösler und Rainer Brüderle bereits beobachten, dass nicht alles zusammenpasst, was eine Partei in ihrer Not zusammenzwingt. Hier führt Sigmar Gabriel parallel zu Peer Steinbrück inzwischen eine Art Nebenwahlkampf.
Vor vier Jahren hat Westerwelle die FDP praktisch im Alleingang auf 14,6 Prozent gepeitscht, etwas eifernd im Ton, aber ohne falsche Kompromisse in der Sache. Nun muss sein Nachfolger beweisen, dass auch er Wahlkampf kann. Brüderle, der alte Kämpe, wird die liberale Stammkundschaft als Spitzenkandidat zwar einigermaßen bei Laune halten. Hinter ihm verstecken aber kann der nette Herr Rösler sich nicht. Er ist das neue Gesicht der Partei, im Guten wie im Schlechten. Wenn die FDP am 22. September patzt, wird es er sein, der dafür haftet, nicht Brüderle.
Der neue Ton, den beide beim Thema Mindestlohn angeschlagen haben, ist auch der Versuch, sich dem Leben zu öffnen, es mit der kühlen Logik der Ökonomie nicht zu übertreiben. Eine FDP mit Herz, die Stundenlöhne von vier Euro nicht als Betriebsunfall der Marktwirtschaft begreift, kann den einen oder anderen Graben vielleicht überwinden und für Wähler aus anderen Milieus eine Alternative werden. Die Strategie dahinter ist offensichtlich: Je weiter Grüne und Sozialdemokraten nach links rücken, umso mehr Platz wird in der Mitte frei.
Rösler sollte seine Rechnung nur nicht ohne die Wirtin machen. Auf dem Platz in der Mitte sitzt Angela Merkel schon sehr bequem.
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