Außenminister Sigmar Gabriel, der neue Liebling
Wütende Auftritte wie seine Brandrede gegen Erdogan machen den Außenminister immer populärer. Für die SPD ein Problem: Denn er hängt auch Kanzlerkandidat Schulz ab.
Die Wut steht ihm gut: Dass Sigmar Gabriel in einer Brandrede dem türkischen Präsidenten Erdogan klargemacht hat, dass der deutsche Geduldsfaden gerissen ist, dürfte ihn nur noch beliebter machen. Schon jetzt ist der Außenminister populärster SPD-Politiker – und nicht etwa Kanzlerkandidat Martin Schulz. Als Gabriel am Donnerstag mit breiter Brust und entschlossenem Blick verkündet, dass die ständigen Provokationen aus Ankara nicht länger ohne Folgen bleiben, kann er sich des Beifalls der Bundesbürger sicher sein (lesen Sie auch: Koalition rät zu Vorsicht bei Türkei-Reisen).
Mit seinem markigen Auftritt liefert der SPD-Mann jene klare Ansage an die Türkei, die CDU-Kanzlerin Angela Merkel nach Meinung vieler seit Monaten hat vermissen lassen. "Wir können nicht so weitermachen wie bisher" – wenn Gabriel dies sagt, ist das auch ein Seitenhieb auf die Bundeskanzlerin. Zorn, das kann Sigmar Gabriel. Früher – als SPD-Parteivorsitzender – hat er sich oft genug gegen die eigenen Genossen gerichtet. Mit seinem unbedingten Willen zur Macht kannte er keine Rücksichten, machte sich viele Feinde.
Gabriel macht sich neue Freunde
Jetzt, wo sich die Rage gegen Erdogan richtet oder auch gegen Politiker der Union, macht sie Gabriel ganz neue Freunde. Für die SPD ist das aber nicht unbedingt Grund zur Freude. Denn nicht der vor neuem Selbstbewusstsein strotzende Außenminister tritt bei der Bundestagswahl gegen eine scheinbar übermächtige Angela Merkel an, sondern Martin Schulz.
Für den Seiteneinsteiger aus der Europapolitik hat Sigmar Gabriel seine eigenen Kanzler-Ambitionen aufgegeben. Anfangs nicht nur in der SPD gefeiert wie ein Rockstar, trauten viele dem Mann aus Würselen die Eroberung des Kanzleramts ernsthaft zu. Doch die Euphorie ist längst verflogen. Sowohl der Kanzlerkandidat Schulz als auch die SPD sind in allen Umfragen weit abgeschlagen. Und auf der Liste der beliebtesten Politiker taucht der erste Sozialdemokrat auf Rang fünf auf: Sigmar Gabriel. Schulz landet nur auf dem siebten Platz.
Selbst die Wut wirkt jetzt authentisch
Nach der Schulz-Kür wurde Gabriel zwar in der Partei für seinen Rückzug als "Königsmacher" gefeiert, doch seinem Wechsel ins Außenministerium maß kaum jemand größere Bedeutung bei. Auf der großen Bühne aber präsentiert sich ein ganz neuer Gabriel, nach einer Operation deutlich schlanker, sichtlich mit sich im Reinen, vor kurzem zum dritten Mal Vater geworden. Selbst seine Wut wirkt jetzt authentisch und sympathisch.
Schulz dagegen tritt im Wahlkampf auf der Stelle. Wie sehr sich die Verhältnisse gedreht haben, zeigt eine kleine Szene vor der Gabriel-Attacke gegen die Türkei. Martin Schulz, der Kanzlerkandidat, der Parteivorsitzende, ist ins Außenamt gekommen, Gabriel umarmt ihn wie einen lieben Freund – doch die Geste wirkt ein wenig von oben herab. Schulz soll etwas abbekommen vom neuen, unverhofften Glanz des Sigmar Gabriel. Der Merkel-Herausforderer muss dankbar sein, wenn von Gabriels reich gedecktem Tisch der internationalen Themen ein paar Brösel für seinen Wahlkampf abfallen.
Gabriel macht Weltpolitik - Schulz steht nur daneben
Der Mann der Stunde bleibt der Außenminister. Den Nordsee-Urlaub abbrechen, den türkischen Botschafter einbestellen, "klipp und klar" die Freilassung deutscher Staatsbürger aus türkischen Gefängnissen fordern, dann die Brandrede – Gabriel macht Weltpolitik, Schulz steht nur daneben. Und die SPD rätselt, wie sie die Popularität ihres Umfragelieblings im Wahlkampf nutzen kann.
Egal wie die Wahl ausgeht, Gabriel ist fein raus. Eine Schlappe müsste Schulz allein verantworten – wie die drei verlorenen Landtagswahlen seit seiner 100-Prozent-Wahl an die Parteispitze. Scheitert Schulz, und davon muss die SPD im Moment ausgehen, wünschen sich nicht wenige Genossen Gabriel sogar zurück an die Parteispitze. Zumal wichtige Konkurrenten schwächeln: Hannelore Kraft – in Nordrhein-Westfalen krachend gescheitert; Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz – muss über das G20-Debakel Gras wachsen lassen; Manuela Schwesig – soll in ihrer Heimat Mecklenburg Vorpommern in Ruhe zur nächsten SPD-Hoffnung reifen. So könnte Sigmar Gabriel, der schon Geschichte schien, bald wieder zur Zukunft der SPD werden.
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