Die Grünen wollen mitregieren
Noch ringt die Partei mit der Union. Unüberwindbar sind die Differenzen nicht
Wenn es stimmt, dass auch in der Politik der Ton die Musik macht, dann klingt das grüne Orchester gerade alles andere als harmonisch. Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin, noch immer einer der Wortführer des linken Parteiflügels, schlägt wie ein Oppositionsführer auf die Pauke, wenn er über die geplante Koalition mit der Union und der FDP spricht. Ihre urchristlichen Werte, tobt er, hätten CDU und CSU mit ihren Beschlüssen zur Zuwanderungspolitik verleugnet. Dieter Janecek dagegen, einer der Anführer des realpolitischen Flügels, bevorzugt das gemäßigte Moderato: „Die Differenzen“, sagt der Abgeordnete aus München im Gespräch mit unserer Zeitung, „sind nicht unüberwindbar.“
Natürlich gehört es zu den Ritualen der Politik, vor Sondierungs- und Koalitionsgesprächen die eigene Position noch einmal als quasi uneinnehmbar zu verteidigen und so die Preise für eine Einigung noch etwas weiter in die Höhe zu treiben. Aber Jamaika deswegen gleich scheitern lassen? Das möchte vermutlich nicht einmal Trittin. Nach zwölf Jahren in der Opposition wollen die Grünen die Chance, die ihnen das Wahlergebnis bietet, nun auch nutzen. Das Beispiel Baden-Württemberg zeige, dass auch Grüne und Konservative miteinander können, betont der Realo Janecek. „Am Ende wird jeder etwas abgeben müssen.“ Parteichef Cem Özdemir hat sogar schon dezente Sympathien für die neuen Aufnahme- und Asylzentren erkennen lassen, in denen die Union Flüchtlinge bis zum Abschluss ihres Verfahrens unterbringen will. Eine von drei solchen Einrichtungen steht in Heidelberg – auf dem Territorium einer grün-schwarzen Landesregierung also.
Zu den Knackpunkten der in der nächsten Woche beginnenden Sondierungsrunde zählen der Pragmatiker Janecek und der Linke Trittin unisono den Familiennachzug, den die Union für die meisten Flüchtlinge über den Stichtag im März 2018 hinaus aussetzen will, und die Aufnahmezentren, die Trittin schon in „Abschiebezentren“ umgetauft hat, weil abgelehnte Bewerber gleich von dort aus zurück in ihre Heimatstaaten geschickt werden sollen. Außerdem wollen die Grünen Algerien, Tunesien und Marokko auf keinen Fall zu sicheren Herkunftsländern erklären, in die Flüchtlinge dann schneller und unkomplizierter abgeschoben werden könnten.
Mit diesem Vorhaben ist die Große Koalition in der letzten Wahlperiode schon einmal am Bundesrat gescheitert. Gut möglich also, dass die Union den Grünen hier einen kleinen Triumph gönnt. Für die Parteilinke war schon Özdemirs Satz „Nicht jeder wird bleiben können“ eine Zumutung. Entsprechend groß ist der Druck auf die Unterhändler, der Union nur ja nicht zu früh zu weit entgegenzukommen. Auf der anderen Seite sind durch den Zuwanderungskompromiss, zu dem CDU und CSU sich gerade durchgerungen haben, die Chancen für ein Einwanderungsgesetz gestiegen – eine alte grüne Forderung.
„Es gibt keinen Automatismus für eine Regierungsbeteiligung“, heißt es in einem Parteitagsbeschluss der Grünen, die gegenwärtig in zehn Bundesländern in acht verschiedenen Konstellationen mitregieren. Am Ende der Koalitionsverhandlungen wird die Partei ihre Mitglieder darüber abstimmen lassen, ob sie das Experiment Jamaika wagen soll. Dass ein mühsam ausgehandelter Koalitionsvertrag bei der Basis durchfällt, glaubt der grüne Realo Janecek allerdings nicht. „Die Partei will, dass wir verhandeln. Und sie will, dass wir Erfolg haben.“
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