Griechenland: Der Tragische, die Chefin und der Buhmann
Der Poker um Griechenland ist zu Ende, zumindest fürs Erste. Die Kanzlerin, der Vizekanzler und der Finanzminister haben dabei drei höchst unterschiedliche Strategien verfolgt.
Die große Pressekonferenz, mit der sie sich gerne in den Urlaub verabschiedet, hat sie verschoben. Am Freitag wird Angela Merkel im Bundestag gebraucht. Ehe die Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland beginnen können, muss er der Regierung erst ein entsprechendes Mandat erteilen. Die Debatte darüber dürfte auch eine Debatte über die Rolle Deutschlands im Brüsseler Poker werden. Hier haben die wichtigsten Vertreter der Koalition zuletzt nicht immer am gleichen Strang gezogen.
Die Kanzlerin hat ihr Ziel erreicht. Sie wollte den Grexit vermeiden und Griechenland im Euro halten – um nahezu jeden Preis. Vom Spiegel vor kurzem noch als „Trümmerfrau“ porträtiert, die Europa mit ihrer Unentschlossenheit ins Chaos stürzt, steht sie nun als die Architektin eines Kompromisses da, der eben jenem Europa die ultimative Nervenprobe erspart. Obwohl viele in der Union die Griechen lieber heute als morgen aus der Eurozone werfen würden, war das für die CDU-Vorsitzende nie eine ernsthafte Option. Die Vorteile der jetzt getroffenen Übereinkunft überwögen nun die Nachteile, sagt Angela Merkel, pragmatisch wie sie ist. Einen Schuldenschnitt vermieden, den griechischen Premier Tsipras ausgebremst, Europa zusammengehalten: Viel mehr geht nicht in einer Verhandlungsnacht.
Kaum aus Brüssel zurück, macht sie weiter, als wäre nichts gewesen: CDU-Präsidium, eine Diskussion über die Förderung von Frauen, am Dienstag dann ein Besuch in einer Chip-Fabrik in Dresden. Regierungsroutine. Starke Nerven und eine robuste Natur hat diese Frau, das weiß man – und dass man sie nie unterschätzen darf. Wenn überhaupt, dann gibt es in EU-Europa nur einen, der ihr gelegentlich noch in die Parade fährt: der französische Präsident François Hollande. Tsipras’ Strategie der kalkulierten Provokation ist jedenfalls nicht aufgegangen, zumindest bei Angela Merkel nicht. Der Ministerpräsident aus Athen hat in der deutschen Kanzlerin seine Meisterin gefunden.
Gabriel zwischen allen Stühlen im Streit um Griechenland
Der SPD-Chef ist die tragische Figur der letzten Tage. Er will von der Seitenlinie aus das Profil der SPD schärfen, indem er gegenüber Griechenland eine deutlich schärfere Rhetorik anschlägt als die Kanzlerin. „Es reicht“, sagt er einmal, und dass die Regierung in Athen alle Brücken eingerissen habe. Am Ende aber macht der Wirtschaftsminister und Vizekanzler seinem Ruf als politisches Springteufelchen einmal mehr alle Ehre. Erst räumt er ein, dass er Wolfgang Schäubles Vorschlag von einem befristeten Grexit selbstredend kenne, um wenig später zu behaupten, dass dieser Vorschlag gar nicht mit der SPD abgestimmt sei.
Es wäre ja auch nur zu grotesk gewesen: Ausgerechnet der SPD-Vorsitzende, dessen Partei Griechenland auf jeden Fall im Euro behalten will, schwadroniert in der entscheidenden Phase öffentlich über einen möglichen Grexit. Wie schon im Streit um die Vorratsdatenspeicherung sitzt Gabriel zwischen allen Stühlen. Die SPD ist entsetzt über seine immer neuen Volten, die Union wundert sich – und er selbst macht erst einmal den Absprung. Im Moment ist Gabriel mit einer Wirtschaftsdelegation in China unterwegs. Nach der langen Nacht von Brüssel bleibt ihm nur ein Trost: Der neue Treuhandfonds, in den die Erlöse aus den griechischen Privatisierungen fließen sollen, ist eine alte Idee der SPD, allerdings nicht seine, sondern die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Schäuble will Europa, in dem alle nach gleichen Regeln spielen
Als Angela Merkel Anfang Juni mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EZB-Chef Mario Draghi und Christine Lagarde vom Internationalen Währungsfonds im Kanzleramt zusammensitzt, um ein letztes Angebot an Athen zu formulieren, fehlt der deutsche Finanzminister. Seitdem wird in Berlin darüber spekuliert, ob zwischen ihm und ihr nicht doch etwas mehr passt als das berühmte Blatt Papier. Auf der anderen Seite ist es Schäuble mit seiner harten Haltung, der den Druck auf Tsipras vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs weiter erhöht. In Griechenland werfen sie ihm deshalb vor, er wolle dem Land eine Art ökonomischen Holocaust aufzwingen, für einen überzeugten Europäer wie Wolfgang Schäuble aber ist ein Kompromiss kein Wert an sich. Er will kein Europa, das seine Prinzipien auf dem Altar der Tagespolitik opfert, sondern ein Europa, in dem alle nach den gleichen Regeln spielen. Deshalb, vor allem, treibt er den Preis für eine Einigung am Wochenende kräftig in die Höhe.
So selbstverständlich er seinen Frieden mit dem Ergebnis des Gipfels macht, so konsequent hätte Schäuble die Griechen auch aus dem Euro verbannt, wenn Tsipras seine Vorschläge nicht nachgebessert hätte. Dass die Werte der Union in einer Umfrage gerade auf mehr als 43 Prozent gestiegen sind, schreiben Demoskopen vor allem ihm zu und nicht mehr der Kanzlerin.
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