Merkels bitterer Sieg
Die Bundeskanzlerin steht vor ihrer vierten Amtszeit und kann damit Konrad Adenauer über- und Helmut Kohl einholen. Doch einfach wird es für sie in den nächsten vier Jahren nicht.
Angela Merkel hat massiv Stimmen verloren und muss das zweitschlechteste Ergebnis der Union seit 1949 verantworten. Doch im Konrad-Adenauer-Haus wird sie gefeiert wie ein Superstar. „Änschie, Änschie, Änschie“, skandieren ihre Anhänger, als Bundeskanzlerin Merkel mit der gesamten Führungsriege im Atrium der bis auf den letzten Platz besetzten Zentrale auftritt.
Und sie redet nicht lange um den heißen Brei herum. Ja, man habe sich „ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft, das ist klar“, gibt sie zu, und doch habe die Union alle ihre strategischen Ziele erreicht: „Wir sind stärkste Kraft, wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden – und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, sagt sie unter dem Jubel ihrer Anhänger. Und fügt hinzu: „Das ist nach zwölf Jahren Regierungsverantwortung alles andere als selbstverständlich, dass wir stärkste Kraft sind.“
Wie die zukünftige Regierung aussehen wird, sagt Merkel nicht. Das werde man „mit aller Kraft und auch in aller Ruhe in Gesprächen mit anderen Parteien dann ins Visier nehmen“, sagt sie im typischen Merkel-Deutsch. Dabei gibt es praktisch nur eine Option – eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen, nachdem die SPD unmittelbar nach Schließung der Wahllokale den Gang in die Opposition angekündigt hat.
Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die schon mal an der Spitze eines derartigen Bündnisses stand, kann sich diese Konstellation durchaus auch für den Bund vorstellen. „Jamaika ist machbar“, sagt sie kurz und bündig. Der Wähler habe gesprochen, nun gelte es, diesen Auftrag anzunehmen und daraus etwas zu machen.
Allerdings gibt sich niemand in der Union am Wahlabend irgendwelchen Illusionen hin – die Koalitionsverhandlungen mit den vor Selbstbewusstsein geradezu strotzenden Liberalen und den unverändert zwischen „Realos“ und „Fundis“ gespaltenen Grünen werden nicht einfach werden. Für Merkel wäre dies in der vierten Amtszeit die dritte Farbkombination nach zweimal Schwarz-Rot und einmal Schwarz-Gelb.
Eine vierte Amtszeit als Bundeskanzler – das schafften bislang erst Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Die beiden CDU-Politiker prägten jeweils eine Epoche. Aber beide erlitten das gleiche Schicksal, in ihrer letzten Amtszeit verloren sie massiv an Autorität und Ansehen und konnten den Machtverlust nicht aufhalten. Adenauer musste in Koalitionsverhandlungen 1961 mit der FDP akzeptieren, nach zwei Jahren zurückzutreten. Und die letzten vier Jahre von Kohl waren von Lähmung, Blockade und Stillstand geprägt.
Angela Merkel hat als junge Umweltministerin diese Zeit des Niedergangs der CDU miterlebt und sich geschworen, nicht so enden zu wollen wie Helmut Kohl. Aber nun steht sie nach ihrer vierten Wahl ebenfalls stark angeschlagen da, hat massiv an Vertrauen und Zustimmung verloren und sogar deutlich schlechter als 2005 abgeschnitten. In ihrem eigenen Wahlkreis im Norden Vorpommerns hat sie zwar das Direktmandat wieder gewonnen, allerdings rund zwölf Prozent der Erststimmen verloren. Welche Lehren zieht Merkel daraus? Wie will sie den Machtübergang, den die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Ergebnis ein Stück weit erzwingen wollen, gestalten?
Mit Spannung werden die ersten Personalentscheidungen der Kanzlerin und CDU-Chefin erwartet, die als wichtige Weichenstellungen für die Zeit nach ihrer Kanzlerschaft gelten: Holt sie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihr Kabinett?
Welche Personalentscheidungen wird Angela Merkel treffen?
Kommt die rheinland-pfälzische Oppositionsführerin Julia Klöckner zurück nach Berlin? Wird Finanzstaatssekretär Jens Spahn zum Minister befördert? Und was wird aus Kanzleramtsminister Peter Altmaier? Denn Merkels Plan, ihn zum Fraktionschef und Volker Kauder zum Bundestagspräsidenten zu machen, ist am Veto Kauders gescheitert. Und wer wird neuer Generalsekretär? Die Union, das ist seit Sonntag um 18 Uhr klar, muss sich personell neu aufstellen, will sie auch 2021 die Wahlen gewinnen.
Gleichzeitig stellt sich für Christdemokraten wie Christsoziale eine völlig neue Herausforderung, die die Partei zerreißen kann: Wie soll man mit der AfD umgehen, die im zweiten Anlauf in den Bundestag eingezogen und gleich zur drittstärksten Kraft geworden ist? Auch das ist ein Erbe Merkels, erstmals gibt es rechts von CDU und CSU eine ernsthafte Konkurrenz.
Bisher hatte nur die SPD unter der Aufspaltung und Zersplitterung der Parteienlandschaft zu leiden, unter Helmut Schmidt entstanden die Grünen, als Folge der Agenda-Politik von Gerhard Schröder etablierte sich die Linke. Schon am Wahlabend rückt die Frage, wie die Union künftig mit den Rechtspopulisten umgehen soll, ins Zentrum der Debatte. An Stimmen, die Merkel eine Mitschuld am Erstarken der AfD geben, herrscht kein Mangel. Mit ihrer Flüchtlingspolitik, heißt es in den Reihen der Union, habe sie die Partei, die nach der Lösung der Eurokrise schon an Bedeutung verloren hatte, wieder stark gemacht.
Vor allem im Süden, Südwesten und im gesamten Osten sind die Stimmenverluste der Union dramatisch: Eine Million Wähler, die vor vier Jahren noch CDU und CSU ihre Stimmen gaben, wechselten zur AfD. „Wir wollen die Wählerinnen und Wähler der AfD zurückgewinnen“, verspricht Angela Merkel, „durch Lösung von Problemen, durch Aufnehmen ihrer Sorgen, auch ihrer Ängste zum Teil, aber eben vor allem durch gute Politik.“ Ob das reicht? Nicht wenige im Adenauer-Haus sind skeptisch. „So schnell“, orakelt ein alter Parteistratege düster, „so schnell werden wir die AfD nicht mehr los.“
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Die "mächtigste Frau der Welt", die "beliebteste Politikerin Deutschlands" holt noch 26% für ihren Verein. Größer könnte die Blamage nicht sein.