Mit Lindner aus der Krise
„D-CL 2017“: Schon das Autokennzeichen des Parteichefs zeigt, wohin er die tief gestürzten Liberalen führen will - zurück in den Bundestag. Ein Projekt mit ungewissem Ausgang.
Vor der Halle parkt der Wagen des Vorsitzenden – und sein Kennzeichen ist Programm. D für Düsseldorf, wo er als Fraktionschef im Landtag sitzt. CL für Christian Lindner. 2017 für das Jahr, das bei den Liberalen vielleicht über Sein oder Nichtsein entscheidet.
Der Mann, der sie bis zur nächsten Bundestagswahl am Leben halten soll, macht sich nichts vor. „Wir sind in einer schwierigen Phase“, räumt Lindner schon zum Auftakt des Dresdner Parteitages ein. „Aber die FDP ist politikfähig.“
Ein paar Stunden später werden die 600 Delegierten unter anderem ein neues Rentenkonzept beschließen, nach dem jeder Arbeitnehmer vom 60. Lebensjahr an selbst entscheiden soll, wann er in den Ruhestand gehen will – eine Art Gegenentwurf zur teuren Rente mit 63, die Union und SPD gerade in Angriff nehmen. „Deutschland braucht eine Regierung“, sagt Lindner, „die länger als vier Jahre rechnen kann.“ Wer früher in Rente geht, muss bei der FDP Abschläge in Kauf nehmen, wer länger arbeitet, bekommt eine entsprechend höhere Rente.
Lindner rechnet mit Bundesregierung ab
Eigentlich geht es an diesem Wochenende vor allem darum, die tief gefallene Partei auf die Europawahl in zwei Wochen einzuschwören und den liberalen Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff noch einmal in Szene zu setzen. Mit Europa, dem Euro und der Krise in der Ukraine aber hält Lindner sich nicht lange auf. Sein fast eineinhalbstündiger Auftritt ist vor allem eines: eine Generalabrechnung mit der Großen Koalition, mit ihren „roten Agenda-Abwicklern“ und den „schwarzen Gefälligkeitspolitikern“, deren Geschäftsmodell auf niedrigen Zinsen und höherem Wachstum fuße.
Die neue Regierung, höhnt Lindner, sei „in den Status quo verliebt“. Schon ein Anstieg des Zinsniveaus um einen Prozentpunkt jedoch koste den Finanzminister 13 Milliarden Euro im Jahr. Wolfgang Schäuble habe einfach nur mehr Glück als einst Hans Eichel.
Unten, im Saal, sitzen mit den ehemaligen Ministern Guido Westerwelle, Philipp Rösler, Dirk Niebel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Rainer Brüderle die Gesichter der historischen Schmach vom 22. September, als die FDP zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus dem Bundestag flog. Oben, auf den Plätzen des Präsidiums, gruppiert sich um den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher herum die neue Garde der FDP, die nun vier Jahre lang gegen den schleichenden Bedeutungsverlust ankämpfen soll – allen voran der smarte Lindner und sein umtriebiger Stellvertreter Wolfgang Kubicki.
AFD ist größter Gegner der FDP
Ihr gegenwärtig größter Gegner allerdings sind nicht Konservative, Grüne oder Sozialdemokraten, sondern die Alternative für Deutschland. Schon einmal, mahnt Lindner, sei eine Partei bei einer Europawahl mit Ängsten und Ressentiments erfolgreich gewesen, nämlich Franz Schönhubers Republikaner 1989. Und wer genau hinsehe, werde zwischen ihnen und der AfD auch jede Menge Parallelen entdecken: „gleiche Farbe, gleiches Programm, gleiche politische Stoßrichtung“.
Ihren Parteitag haben die Liberalen nicht ohne Grund nach Dresden vergeben. Sachsen, wo Ende August gewählt wird, ist das letzte Bundesland, in dem noch eine schwarz-gelbe Koalition regiert. Bei Umfragewerten um die vier Prozent für die FDP aber läuft auch diese Bastion Gefahr, geschliffen zu werden. „Niemand hier macht sich Illusionen“, sagt ein Spitzenliberaler in Dresden. Die Partei sei nach dem Septemberschock inzwischen „stabil, aber nicht euphorisch“.
Stoppt Lindner den Abwärtstrend?
Auch der sächsische Landesvorsitzende Holger Zastrow, ein 45-jähriger PR-Fachmann, redet die Lage nicht schöner, als sie ist: „Die Gefahr des Scheiterns besteht.“ So einseitig auf die Union fixiert wie die Parteifreunde in Sachsen allerdings sind längst nicht mehr alle in der FDP. Der baden-württembergische Delegierte Rudi Rentschler zum Beispiel hat aufmerksam verfolgt, wie die österreichischen Neos Liberalität und Modernität miteinander verbinden, eine neue, erst vor knapp zwei Jahren gegründete Partei, die nicht so staatstragend-kühl klingt wie die deutsche FDP und auch bei Frauen und jüngeren Wählern Erfolg hat. Die Neos haben, wie Rentschler findet, etwas, das der alten FDP im Moment noch fehlt: „eine Vision“.
Christian Lindner wäre fürs Erste schon froh, wenn die FDP bei der Europawahl ihren Abwärtstrend stoppen könnte und bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Spätsommer nicht zu sehr gerupft wird. Dazu aber müssen die Mitglieder auch vergessen können, was war: „Man kann nicht kämpfen, wenn man die Hosen voller als das Herz hat“, sagt er.
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