Wahlkampfexperte Frank Stauss: Merkel tut jetzt am besten nichts
Angela Merkel geht ohne irgendeine Aussage in den Wahlkampf, sagt Experte Frank Stauss. Und Peer Steinbrück sollte etwas öfter poltern.
Was hat Sie zuletzt geärgert?
Stauss: Das Auftreten von Verteidigungsminister Thomas de Maizière vor dem „Euro Hawk“-Untersuchungsausschuss.
Nicht der Wahlkampf? Von dem heißt es, er sei der langweiligste seit Jahren.
Stauss: Sie haben recht: Bis jetzt war nicht so viel los. Ich ärgere mich nicht über den Wahlkampf, aber ich langweile mich.
Haben Sie denn schon ein großes Wahlkampfthema ausgemacht?
Stauss: Nein, und das ist ja der Grund, warum sich alle ein bisschen langweilen und warum sich die Parteien schwertun. Es gibt große Themen, nur, sie lassen keine großen Gefühle aufkommen und sich nicht dramatisieren. Dabei sind die Spähaktionen des US-Geheimdienstes doch eigentlich so, als ob jemand in meine Wohnung eingebrochen ist. Dieses Bewusstsein herrscht aber nicht vor.
Kommt es noch, dieses möglicherweise wahlentscheidende Wahlkampfthema?
Stauss: Bei vielen Wahlkämpfen sind Themen im wahrsten Sinne des Wortes noch vom Himmel gefallen, wie 2002 die Flut.
Wahl 2013: "Mit einer Kanzlerschaft Steinbrücks wird es schwer"
2013 sieht es eher so aus: Alles plätschert vor sich hin – und am Ende ist Angela Merkel wieder Kanzlerin.
Stauss: Das ist im Moment tatsächlich das Wahrscheinlichste. Wobei: Bei der Bundestagswahl 2009 gab es auch eine etwas langweilige Gemengelage. Die hat dazu geführt, dass die CDU sehr schwach abgeschnitten hat, weil sie ihre Wähler nicht mobilisieren konnte.
Steinbrück könnte aus diesem Grund Kanzler werden.
Stauss: Die Wahrscheinlichkeit für eine rot-grüne Mehrheit ist in diesem Wahlkampf geringer geworden. Mit einer Kanzlerschaft Steinbrücks wird es schwer.
Was muss Merkel tun, um die Wahl noch zu verlieren?
Stauss: Sie hat aus dem Wahlkampf 2005 gelernt, dass sie am besten nichts tut. Das hat sie 2009 schon mit Bravour geschafft. Und das zieht sie wieder durch. Für uns als Wähler ist das schade: Frau Merkel geht ohne irgendeine Aussage in diesen Wahlkampf. Sie hat absolut kein Programm und niemand weiß, wofür sie brennt. Allein das Wort „brennen“ ist schon kaum mit Frau Merkel übereinzubringen.
Warum kommt Steinbrück dann nicht aus den Puschen?
Stauss: Das liegt an seinem holprigen Start. Und danach ist er sehr zahm geworden. Seine Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen ist in den Hintergrund gerückt. Auch das ist schade, denn auf diesen Gebieten ist Merkel schlagbar.
Würden Sie ihm raten, ein bisschen kantiger aufzutreten? Vielleicht wie ein Wolfgang Kubicki der SPD?
Stauss: Na, so schlimm muss es nicht gleich werden. Er ist ja kantig. Das ist ein Grund für seine hohen Beliebtheitswerte in der Vergangenheit. Steinbrück trat anders auf als andere etablierte Politiker, er legte nicht jedes Wort auf die Waagschale. Auf der anderen Seite: Viele sind jetzt über ihn hergefallen, wenn er mal frei Schnauze geredet hat. Ich würde sagen: Steinbrück muss alles auf eine Karte setzen und darf nicht handzahm werden.
Angela Merkels Mundwinkel sind eines ihrer Markenzeichen
Bitte ergänzen Sie: Der bisherige Wahlkampf von Peer Steinbrück ist ...
Stauss: ... holprig verlaufen.
Der bisherige Wahlkampf von Angela Merkel...
Stauss: ... hat nicht stattgefunden.
Die Mundwinkel von Merkel sind ...
Stauss: ... eines ihrer Markenzeichen.
Die Mundwinkel von Steinbrück...
Stauss: ... sind eines seiner Markenzeichen.
Sie sind kein großer Freund von Angela Merkel, oder?
Stauss: Ich bin ein sehr politischer Mensch. Und ich kann wenig damit anfangen, wenn jemand das wichtigste gewählte Amt in der Republik vertritt und gleichzeitig keine Vorstellung davon hat, was er eigentlich damit anstellen will. Das hat gar nichts mit Frau Merkel persönlich zu tun. Sie verwaltet halt das Land, und das ist mir zu wenig.
Wie stark kommt es auf Äußerlichkeiten an, wie stark auf Inhalte?
Stauss: Die Äußerlichkeiten werden oft überbetont. Doch letztlich kann man beides nicht voneinander trennen. Steinbrück etwa ist ein kantiger Macher und Wirtschaftsexperte mit Herz. Das muss er poltrig vertreten, wie es seine Art ist. Merkel dagegen ist auf Ausgleich bedacht.
Erfolgsrezept der SPD: Wirtschaftlicher Sachverstand und soziale Kompetenz
Sie kennen sich aus mit scheinbar aussichtslosen Situationen. 2005 haben Sie Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestagswahlkampf unterstützt. Er lag den Umfragen zufolge weit hinter seiner Herausforderin Angela Merkel, am Schluss verlor er nur knapp. Was heißt das für den aktuellen Bundestagswahlkampf?
Stauss: Ganz klar: Man muss die Kraft Steinbrücks in Wirtschafts- und Finanzfragen übereinbringen mit den Stärken der SPD. Das war immer das Erfolgsrezept der SPD: wirtschaftlicher Sachverstand und soziale Kompetenz – das ist es.
Was hätte ein Sieg Schröders für Ihre Karriere bedeutet?
Stauss: Ach, dieser gefühlte Sieg damals, das war schon mehr als erwartet. Für die SPD wäre es 2005 perspektivisch sogar besser gewesen, in die Opposition zu gehen als in eine Große Koalition.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Höllenritt Wahlkampf“: „Autosuggestion ist die Grundqualifikation für einen Wahlkämpfer. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“.
Stauss: Anders geht es nicht. Ein Wahlkampf heißt ja nicht zu Unrecht „Kampf“. Sie starten ja auch nicht bei einem 100-Meter-Lauf mit dem Ziel, Dritter zu werden. Steinbrück muss jetzt jeden Tag vier, fünf Veranstaltungen machen. Da muss man Sachen ausblenden, sonst wird man verrückt.
Warum tut sich jemand so einen Wahnsinn wie einen Wahlkampf überhaupt an?
Stauss: Bei Steinbrück kann man sich das in der Tat fragen. Er war ja schon raus aus dem Spiel, hat tolle Bücher geschrieben, die sich gut verkauften ... Gleichzeitig liegt darin ein Schlüssel: Er hat ernsthaft den Ehrgeiz zu gestalten und ist der festen Überzeugung, dass er es besser kann als Merkel.
Die Kanzlerin hat eine "unglaubliche Nervenstärke"
Was schätzen Sie an Merkel?
Stauss: Ihre unglaubliche Nervenstärke. Ich habe großen Respekt vor ihrer Leistung, das Land in der Euro-Krise mit Ruhe und Ausgeglichenheit zu führen.
Was schätzen Sie an Steinbrück?
Stauss: Er sprüht vor Ideen und hat eine schnelle Auffassungsgabe.
Und was an Michael Spreng?
Stauss: Er bringt die Sachen auf den Punkt. Und ich schätze sehr, dass er immer einen objektiven Blick auf die Ereignisse hat, obwohl er eher aus der konservativen Ecke ist.
Wie haben Sie es eigentlich geschafft, zu Ihrer eigenen Marke zu werden?
Stauss: Oh, da ist mir Michael Spreng Jahre voraus. Ich würde mich beim besten Willen noch nicht als Marke bezeichnen.
Was wäre eigentlich die größte Herausforderung für Sie? Der SPD zum Wahlsieg in Bayern zu verhelfen?
Stauss: Das wäre nun wirklich eine sehr, sehr langfristige Aufgabe. Nein, ein Ziel habe ich noch – jemanden ins Kanzleramt begleiten.
Frank Stauss wurde 1965 in Freiburg im Breisgau geboren. Er studierte in Heidelberg (Politische Wissenschaft), Washington und Berlin. Der Werbetexter und Politikberater Stauss ist Mitinhaber der Kommunikationsagentur „Butter“.
Wahlkämpfe Stauss hat mehr als zwanzig Wahlkämpfe begleitet, vor allem für SPD-Politiker: drei für Klaus Wowereit, zwei für Kurt Beck und Hannelore Kraft sowie für Gerhard Schröder, Olaf Scholz, Frank Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück. Aktuell berät er den Vizekanzler und Außenminister Österreichs, Michael Spindelegger, von der konservativen ÖVP. 1992 arbeitete Stauss im US-Präsidentschaftswahlkampf mit an der Kampagne von Bill Clinton und Al Gore.
Frank Stauss: Höllenritt Wahlkampf – Ein Insider-Bericht, Deutscher Taschenbuch Verlag, 200 Seiten, 12,90 Euro.
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