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Analyse
02.01.2017

War 2016 ein Epochenjahr?

Die politische Sensation des Jahres: Der Unternehmer Donald Trump gewinnt im November die US-Wahlen.
Foto: Saul Loeb, AFP PHOTO

Ein unruhiges Jahr geht zu Ende. Ob 2016 als Epochenjahr gelten muss? Sicher ist, dass wir bei der Erhaltung von Frieden und Demokratie vor ungeahnten Herausforderungen stehen.

War 2016 eines jener seltenen „Epochenjahre“, in denen Umwälzendes passiert und etwas ganz Neues beginnt? Ein Jahr wie 1989, als die Mauer fiel, das sowjetische Imperium zusammenbrach, der Kalte Krieg und die Teilung Europas zu Ende gingen? Oder ein Jahr wie 2001, als die USA von islamistischen Gotteskriegern angegriffen wurden und der bis heute andauernde „Krieg gegen den Terrorismus“ (US-Präsident Bush) begann?

Eine klare Antwort auf diese Frage, die sich nach dem ungewöhnlich ereignisreichen Jahr 2016 aufdrängt, wird erst die Geschichte liefern. Noch wissen wir ja nicht, wohin das alles führen wird, was uns 2016 so sehr in Atem gehalten und bisweilen tatsächlich den Eindruck erweckt hat, als sei die Zeit aus den Fugen geraten: der atemberaubende Aufstieg eines irrlichternden Mannes wie Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten; der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union; die Wahlerfolge populistischer, nationale Abschottung predigender Parteien; der zunehmende Vertrauensverlust des demokratischen Systems; die Krise Europas, dessen Einheit mittlerweile auf dem Spiel steht; der nun auch mit voller Wucht in Deutschland angekommene Terrorismus; die Herausforderung des Westens durch Russland, das die Nachkriegsordnung in Frage stellt und als (militärische) Großmacht zurück auf die Bühne der Weltpolitik drängt; die Masseneinwanderung von Menschen aus muslimischen und afrikanischen Krisenregionen; das Abdriften der Türkei in einen autoritär geführten, islamisierten Staat.

So viel Krise war nie - außer in Vorkriegszeiten

Was für ein turbulentes, außerordentlich unruhiges Jahr! Wobei man hinzufügen muss: Wann eigentlich sind die Zeiten je ruhig und frei von großen, mit Gewalt ausgetragenen Konflikten gewesen? Die ruhigen, die friedlichen Zeiten sind ja die Ausnahme in der Geschichte – „Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr“, notierte der Philosoph Hegel. Gemessen etwa an der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, jenem furchtbaren „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) mit zwei Weltkriegen, totalitären Regimen sowie entsetzlichen Völker- und Massenmorden, verliert auch 2016, das zum Schreckensjahr deklarierte „annus horribilis“, seinen Schrecken.

Beunruhigend ist die Fülle der krisenhaften Zuspitzungen. „So viel Krise war nie – außer in Vorkriegszeiten“, glaubt der Historiker Michael Stürmer und erinnert an den geplatzten Traum vom „ewigen Frieden“ und dem endgültigen und weltweiten Sieg der Demokratie. Die eitle Hoffnung, die ganze Welt werde nach dem Kollaps des Kommunismus zu einer dauerhaften Ordnung des Friedens finden und sich die freiheitlichen Grundwerte des Westens zu eigen machen, hat sich zerschlagen. Schlimmer noch: Die Welt ist aus dem alten Gleichgewicht geraten. Stürmer konstatiert wachsendes Misstrauen zwischen den großen Staaten und die nachlassende Bereitschaft zu vertrauensbildenden Maßnahmen – genau jene kalte Atmosphäre also, in der Krisenzeiten in „Vorkriegszeiten“ umschlagen. Von da ist es erfahrungsgemäß nicht weit zu einer den Weltfrieden gefährdenden Eskalation geopolitischer Konflikte.

Die Verunsicherung, die in diesem Jahr bei vielen Menschen zu beobachten war, ist einerseits der Sorge um den Erhalt des Friedens (wenigstens in Europa) und andererseits der Ahnung vor möglicherweise epochalen Veränderungen geschuldet, in deren Verlauf auch die scheinbar unzerstörbare demokratische Grundordnung ins Wanken zu geraten droht. Nicht dass schon ernsthaft Gefahr im Verzug wäre. Die Europäer und erst recht die Deutschen wissen, was sie an ihrer Demokratie haben. Aber es liegt, um mit Thomas Mann zu sprechen, „etwas in der Luft“, das von einem Stimmungsumschwung und von unruhiger werdenden innenpolitischen Zeiten künden könnte. Könnte, wohlgemerkt. In Manns „Zauberberg“ ist nachzulesen, wie sich die Vorboten eines Abgrunds gesellschaftspolitisch anfühlen: „Zanksucht, kriselnde Gereiztheit. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zu Wutausbruch, ja zum Handgemenge“. Er schrieb es rückblickend auf den Weg in den Ersten Weltkrieg; als das Buch erschien, 1924, schien die Weimarer Republik einigermaßen intakt, noch …

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Trump kam buchstäblich aus dem politischen Nichts

Es ist die Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft, die sich zunehmend spaltet und polarisiert, das Gespräch miteinander und über weltanschauliche Gräben hinweg verlernt und darüber den notwendigen Zusammenhalt einbüßt. Ein Hauch von dem, was Thomas Mann da beschreibt, war dieses Jahr verstärkt auch in diesem Land zu spüren. Der Ton wird rauer. Der Streit um die Sache, der ja sein muss, wird immer schärfer und verletzender. Es ist diese Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander, die der demokratischen Gesprächskultur schadet.

Die Erfolge populistischer Kräfte und Politiker zählen zweifellos zu jenen Ereignissen, die das Jahr 2016 in besonderem Maße geprägt haben. Dass ein aufschneiderischer, eine Menge Unsinn verzapfender und Lügen verbreitender Typ wie Donald Trump zum Präsidenten der Supermacht USA gewählt werden könnte, galt bis in die Endphase des Wahlkampfes hinein als kaum vorstellbar. Umso tiefer sitzt der Schock über die Erkenntnis, dass das demokratische System im Ernstfall nicht davor gefeit ist, von innen heraus und mit den eigenen Mitteln ausgespielt zu werden. Trump wird in die Geschichte eingehen als jener Mann, der buchstäblich aus dem politischen Nichts gekommen ist und mit Erfolg die Spielregeln des Systems gebrochen hat.

Die These, er habe halt die „Abgehängten“ und die Verlierer der Globalisierung hinter sich geschart, greift viel zu kurz. Trumps Wähler verdienen im Durchschnitt mehr als die Anhänger der Demokratischen Partei Hillary Clintons. Im Kern war es eine Revolte gegen jenes politische und wirtschaftliche Establishment, das – nicht zuletzt infolge der vom Casinokapitalismus ausgelösten Finanzkrise – an Vertrauen eingebüßt hat und nicht mehr als Sachwalter des Gemeinwohls und des sogenannten „kleinen Mannes“ gilt. Im sensationellen Erfolg Trumps spiegelt sich überdies der Unmut weiter konservativer Bevölkerungskreise über jenen Wertewandel wider, der seit den siebziger Jahren im Westen in Gange ist. Der Rechtspopulismus attackiert alles, was dem „progressiven“ Lager ein Herzensanliegen ist: offene Grenzen, Multikulturalismus, Toleranz, die Gleichwertigkeit der Lebensstile, die Skepsis gegen das Nationale.

Ähnlich ist die Gemengelage in Europa, wo sich rechte Parteien in zahlreichen Ländern etabliert haben und – wie die AfD in Deutschland – die Koordinaten des herkömmlichen Parteiensystems verändern. Die meisten dieser Parteien ticken wie Trump. Sein Erfolg verschafft diesen teils europa- und ausländerfeindlichen Kräften, die es in Ländern wie Ungarn und Polen schon in die Regierung geschafft haben und in Marine Le Pen über eine aussichtsreiche Anwärterin auf das Amt der französischen Präsidentin verfügen, zusätzlichen Auftrieb.

Die Flüchtlingskrise im Mittelmeer war stets ein Thema im Jahr 2016. Auf dem Bild winken zwei Flüchtlinge nördlich von Libyen ein Rettungsschiff herbei.
15 Bilder
Die emotionalsten Bilder 2016
Foto: Aris Messinis, AFP PHOTO

Brexit darf nicht auf populistische Machenschaften zurückgeführt werden

Davon geht die Demokratie nicht unter, so wenig wie die amerikanische unter Trump. Wohl aber besteht die Gefahr, dass die liberale, die weltoffene Demokratie unter dem wachsenden Druck der offen systemkritischen Kräfte Federn lässt und sich die Vertrauenskrise irgendwann zur schweren Systemkrise auswächst – jedenfalls dann, wenn die etablierten politischen Machteliten so weitermachen, als ob nichts geschehen wäre.

Wie Trump, so ist auch der „Brexit“ unerwartet über Europa gekommen. Dass sich die Briten in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit aus Europa verabschieden könnten, war in den von Wunschdenken und einer Verniedlichung europäischer Probleme geprägten Prognosen nicht eingepreist. Der Abschied Großbritanniens aus der EU ist zweifellos das Werk populistischer Politiker wie Boris Johnson, die die Stimmung gegen Europa mit falschen Aussagen geschürt und ihren Landsleuten das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben. Es war, um das „Wort des Jahres“ zu benutzen, eine „postfaktische“ Kampagne – eine Kampagne, die auf diffuse Gefühle setzt, Fakten ausblendet oder verdreht und vor allem auf den Bauch des Publikums zielt. Aber es ist falsch und kurzsichtig, das historische Nein der Briten zur EU – und in diesem Fall trifft das vielbemühte Wort historisch wirklich zu – ausschließlich auf finstere populistische Machenschaften und die Zukunftsvergessenheit „alter weißer Männer“ (wie ein neues linkes Feindbild lautet) zurückzuführen.

Der „Brexit“ ist eben auch Symptom und Folge der schweren existenziellen Krise, in der sich die Europäische Union befindet. Das zerstrittene, von der Euro-Krise gebeutelte Europa steuert längst mit Volldampf auf jenen Punkt zu, an dem es auseinanderbricht oder aber die Kraft zu einem neuen, die Menschen überzeugenden Anfang findet. All die EU-Gipfel, all die Reden und Appelle: Nichts ist 2016 wirklich vorangegangen, weder die faire Verteilung der Flüchtlinge noch die Lösung der Finanzkrise. Mit der Einheit Europas ist es im Ernstfall nicht weit her. Die nationalen Fliehkräfte nehmen zu. Die europäischen Verträge werden auf Druck südeuropäischer Schuldensünder nach Belieben gedehnt – vor allem auf Kosten der Deutschen, die für die Null-Zins-Politik Draghis die Zeche zahlen, und um den Preis des Verlustes an Glaubwürdigkeit.

Der Zustand Europas ist am Ende dieses stürmischen Jahres umso besorgniserregender, als es der alte Kontinent mit neuen gewaltigen Herausforderungen zu tun bekommt. Wie steht es künftig um die Sicherheit Europas, wenn Trump seine Ankündigungen wahr macht und dem transatlantischen Bündnis weniger Wert beimisst? Was geschieht, wenn der russische Präsident Putin den Druck auf Europa verstärkt und im Baltikum zu zündeln beginnt, um seine Forderungen wie ein Ende der Sanktionen oder den Rückzug der Nato aus Osteuropa durchzusetzen? Ist Europa dann stark und einig genug, um sich zu behaupten und seine Werte zu verteidigen? Und überhaupt: Was passiert, wenn sich die beiden Männerfreunde Trump und Putin über die Köpfe der Europäer hinweg einigen und einen Deal auf Kosten der Osteuropäer und der Ukraine aushandeln? Fragen über Fragen, die sowohl Europas Sicherheit als auch die Zukunft des Westens als einer auf Freiheit und Demokratie verpflichteten, handlungsfähigen Wertegemeinschaft berühren.

Flüchtlingspolitik bleibt dominierendes Thema in EU

Wie auch immer die neue, von den USA, China und wohl auch Russland dominierte Weltordnung beschaffen sein mag: Europa wird, wie es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble formuliert, „mehr für sich selber sorgen müssen“, um nicht zum Spielball anderer Mächte zu werden. Die Frage ist nur, ob es dazu imstande und willens ist. So schwach, wie es zur Stunde ist – und so wenig bereit, notfalls auch um den Preis wirtschaftlicher Nachteile für seine Sache einzustehen. Die pazifistische Gesinnung der Europäer, die sich bisher auf den Schutz der Amerikaner verlassen konnten, ist aller Ehren wert. Aber wenn Europa Russland sicherheitspolitisch schon nichts entgegensetzen kann und will, dann wird es zumindest von den Mitteln wirtschaftlicher Sanktionen energischer Gebrauch machen müssen. Jedenfalls wird es Putin wenig beeindrucken, wenn er – wie 2016 geschehen – freie Hand im Syrienkrieg bekommt und der deutsche Außenminister Steinmeier beflissen anbietet, das auch von russischen Bombern zerstörte Aleppo „gemeinsam wieder aufzubauen“.

Trumps Isolationismus und die Gefahr einer Spaltung des von autoritären Regimen herausgeforderten Westens bergen den Keim schwerer außenpolitischer Verwerfungen in sich. Ein anderes Problem von epochaler Tragweite bekommt Europa bereits hautnah zu spüren. Millionen Menschen aus dem arabischen Raum und aus Afrika drängen nach Europa, das ihnen Schutz vor Krieg und Verfolgung und ein besseres Leben verheißt. Der große Ansturm, der 2015 bei geöffneten Grenzen und unter Inkaufnahme eines vollständigen staatlichen Kontrollverlustes zugelassen wurde, ist im Laufe dieses Jahres gebremst worden – vor allem mit Hilfe des fragwürdigen Geschäfts, das die EU mit dem türkischen Autokraten Erdogan geschlossen hat. Europa war auf diese Masseneinwanderung nicht vorbereitet und hat bis heute kein Konzept, wie es damit langfristig umgehen will.

Im Gegensatz zu Deutschland, das wegen seiner guten ökonomischen Lage, seines liberalen Asylrechts und seiner großen Aufnahmebereitschaft wie ein Magnet auf die überwiegend muslimischen Neuankömmlinge wirkt, verfahren die meisten anderen europäischen Staaten eher restriktiv. Von einem gemeinsamen Asylrecht und einer gemeinsamen Steuerung der Zuwanderung ist die EU meilenweit entfernt. Man ist ja nicht einmal in der Lage, die Außengrenzen aus eigener Kraft zu sichern und die Lasten der Flüchtlingsaufnahme gerechter zu verteilen.

In Deutschland ist und bleibt die Flüchtlingspolitik das dominierende Thema – nichts wühlt die Menschen so sehr auf wie die Frage, ob die Integration so vieler Migranten wirklich zu schaffen ist und wo die natürlichen Grenzen der humanitären Verpflichtungen des reichen Landes liegen. Sicher ist, dass es im Hinblick auf die Integrationskraft Deutschlands zu einer Begrenzung und Steuerung kommen muss – andernfalls ist weder die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft noch das weitere Erstarken rechter, auf Abschottung drängender Kräfte zu stoppen. Es sieht so aus, als ob die Kanzlerin dies erkannt hat und, auch um der eigenen Wahlchancen 2017 willen, den Flüchtlingen nach dem überaus „freundlichen“ nun auch ihr unfreundlicheres Gesicht zeigen will.

Die freie Gesellschaft muss einen kühlen Kopf behalten

Merkels Zusicherung, dass sich „2015 nie mehr wiederholen wird und darf“, kommt dem Eingeständnis eines Fehlers gleich. Aber heißt das, dass 400 000 oder 500 000 Zuwanderer pro Jahr verkraftbar und dem skeptischen Teil der Gesellschaft zumutbar sind? Man wüsste gern, wie sich Angela Merkel und ihre Große Koalition die Zukunft des Landes vorstellen. Das gilt umso mehr, als die Zuwanderung in Zeiten der Globalisierung weitergehen wird und die Beseitigung der Fluchtursachen (Krieg, Elend, exorbitantes Bevölkerungswachstum) in Afrika und in der muslimischen Welt – so sie denn überhaupt gelingt – Jahrzehnte dauern wird.

Auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen wird uns auch der islamistische Terror, der 2016 besonders schlimm in Europa gewütet hat. Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul, zuletzt Berlin: Lang ist die Liste großer, furchtbarer Anschläge auf „weiche“, kaum zu schützende Ziele. Es waren Massenmorde an wehrlosen Zivilisten – verübt von muslimischen, teils in Europa aufgewachsenen Fanatikern, die dem verhassten Westen den Krieg erklärt haben und überwiegend von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gesteuert werden. Selbst wenn es gelingen sollte, den IS in Syrien und Irak zu zerstören: Ein Sieg im Kampf gegen den Terrorismus ist fern und ungewiss.

Wir werden also lernen müssen, damit zu leben und die Angst, die diese Attentate auslösen, auszuhalten. Die freie, offene Gesellschaft muss bei allem Schrecken kühlen Kopf behalten und der Versuchung widerstehen, im Kampf gegen den Terror ihre rechtsstaatlichen Prinzipien zu opfern. Zugleich jedoch steht der freiheitliche Staat in der Pflicht, sein Sicherheitsversprechen einzulösen. Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille. Der bestmögliche Schutz der Bürger vor Gewalttätern und Verbrechern ist eine Kernaufgabe des Staates. Versagt der Staat bei der Erfüllung dieser Aufgabe – und im Fall des Attentäters von Berlin ist dies passiert –, wird das demokratische System weiter an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren.

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