Wie viele Asylbewerber kommen dieses Jahr?
Die Schließung der Balkanroute hat den Zuzug von Asylbewerbern gebremst. Warum das Problem trotzdem nicht gelöst ist.
Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, ist in diesem Jahr spürbar zurückgegangen – von einer Trendwende aber will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) deshalb noch nicht sprechen. „Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass das in den nächsten Monaten so bleibt“, sagt er. Maßnahmen wie das Schließen der Balkanroute oder das Rücknahmeabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei hätten zwar zu einer Entspannung der Situation geführt. Die Lage sei aber nach wie vor labil. Nach einer Umfrage der Beratungsfirma Ernst & Young rechnen Städte und Gemeinden bis Jahresende mit der Ankunft von insgesamt rund 733.000 Flüchtlingen - nach mehr als einer Million im vergangenen Jahr.
De Maizière selbst verkneift sich jede Prognose. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg hat von Januar bis Ende Juni etwas mehr als 222.000 Menschen registriert, die nach Deutschland geflohen sind. Fehl- und Mehrfacherfassungen sind in diesem System allerdings nicht ausgeschlossen, sodass weder der Innenminister noch Behördenchef Frank-Jürgen Weise die Daten des ersten halben Jahres auf das ganze Jahr hochrechnen wollen. Mit fast 75.000 Zuwanderern stellen Syrer dabei die mit Abstand größte Gruppe vor 39.000 Afghanen, 38.000 Irakern, gut 9000 Iranern und 5300 russischen Staatsbürgern, die fast alle behaupten, sie stammten aus Tschetschenien.
Sechs von sieben Asylbewerbern kommen über Österreich nach Deutschland
Ein Teil der Neuankömmlinge nimmt nach de Maizières Worten noch immer den Weg über die Balkanländer, wenn auch in deutlich geringerer Zahl und in sehr kleinen Gruppen, die von Schleppern dann unauffällig über die grünen Grenzen geschleust werden. Tschetschenen reisen nach Erkenntnissen der Bundespolizei neuerdings vor allem über Polen ein, außerdem ist die Zahl der Flüchtlinge, die es über die Schweiz nach Deutschland schaffen, zuletzt gestiegen – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Von Januar bis Juni griff die Bundespolizei hier nach eigenen Angaben rund 1300 illegal Eingereiste auf, entlang der deutsch-polnischen Grenze waren es knapp 800. Für sechs von sieben Asylbewerbern jedoch ist nach wie vor Österreich das Einfallstor.
Gegenwärtig sitzt das Bundesamt in Nürnberg noch auf einem Berg von rund 500.000 unerledigten Asylverfahren, dazu kommen nach Einschätzung von Weise noch etwa 150.000 über ganz Deutschland verteilte Menschen, die noch nicht einmal einen Antrag gestellt haben.
Von den Antragstellern waren im vergangenen Jahr drei Viertel Männer und fast 70 Prozent jünger als 33 Jahre. Knapp 60.000 Asylbewerber sind freiwillig ausgereist oder wurden abgeschoben. Für das laufende Jahr rechnet de Maizière mit insgesamt 100.000 Rückkehrern. „Das ist sehr gut“, sagt er. „Aber noch nicht gut genug.“ Die Flüchtlingskrise sei zwar noch nicht gelöst. „Aber ihre Lösung kommt in Europa gut und in Deutschland sehr gut voran.“
Kommunen fordern eine gerechte Verteilung des Geldes
Der stellvertretende Geschäftsführer der Hilfsorganisation Pro Asyl, Bernd Mesovic, hält das allerdings weniger für einen Grund zur Freude als vielmehr für einen Anlass zur Sorge: „Während in Deutschland Unterkünfte leer stehen, leben Flüchtlinge in Griechenland und einigen anderen Staaten auf der Straße, oft monatelang ohne Chance auf Registrierung ihres Asylgesuchs, von seiner inhaltlichen Prüfung ganz zu schweigen.“
Nachdem der Bund den Ländern zugesagt hat, ihnen innerhalb von drei Jahren sieben Milliarden Euro zusätzlich für das Management der Flüchtkingskrise zu überweisen, fordern die Kommunen nun eine gerechte Verteilung dieser Gelder. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hat die Landesregierungen im ZDF dazu aufgerufen, die Gelder nun auch an die Kommunen weiterzuleiten anstatt „mit klebrigen Fingern zu versuchen, ihre eigenen Haushalte zu sanieren.“ Nach der Umfrage der Beratungsgellschaft Ernst & Young müssen Städte, Gemeinden und Landkreise bis Ende des Jahres noch Wohnraum für mehr als 460.000 Menschen schaffen.
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