Ein Tor zu Tina Turner
Seit 25 Jahren kommentiert Hans Fischer die Spiele des ERC Ingolstadt für das Lokalradio. Die NR hat ihn zu einem Auswärtsspiel in Augsburg begleitet
Seine buschigen Augenbrauen wandern immer weiter nach oben, unkontrolliert zucken seine Lippen, seine Stimme überschlägt sich, ehe sie in einem lauten „TOOOOR!“ endgültig bricht. Als Hans Fischer (65) das erste Mal an diesem Abend im Augsburger Curt-Frenzel-Stadion nach einem erfolgreichen Alleingang von ERCI-Stürmer Alexander Barta die Arme in die Luft reißen darf, schmettert ihm Cyndi Lauper per Kopfhörer ihren weltbekannten Hit „Girls just wanna have fun“ in die Ohren.
Immer wenn Fischer, grau meliertes Haar, sonnengegerbtes Gesicht und schlanke Statur, eine Eishockeypartie moderiert, hört er Radio, „sein“ Radio, und wird so mit den kultigsten Songs des letzten Jahrhunderts bedient. Und Fischer moderiert oft. Für den Lokalsender „Radio IN“ begleitet er seine Panther seit 1989 durch die ganze Republik. Über 1500 Spiele sind das bisher gewesen, dafür ist Fischer erst jüngst vom Verein geehrt worden. Die Partien, die er verpasst hat, kann man vermutlich an zwei Händen abzählen.
16.30 Uhr: Dreieinhalb Stunden vor Cyndi Lauper und dem ersten Torschrei. Auf dem Parkplatz der Ingolstädter Saturn Arena stehen fünf Fanbusse dicht gestaffelt in der Abenddämmerung zur Abfahrt bereit. Der ERCI tritt zum prestigeträchtigen Derby in Augsburg an. Bevor Fischer in seinen Dienstwagen mit dem blau-weißen Fanschal auf der Ablage steigt, flachst er mit den abreisebereiten Anhängern, die ihn nicht nur wegen seiner markanten Radiostimme kennen. Fischer ist bei den Panthern längst zur allgegenwärtigen Institution geworden, immer für ein Pläuschchen zu haben. „Gibt’s bei eich a Freibier?“ Alle lachen. Auch Fischer grinst und braust gemeinsam mit seinem Techniker Karl-Heinz Leger vom Parkplatz.
Noch sind es gut drei Stunden, bis die Partie beginnt, doch Fischers Gedanken kreisen schon während der Fahrt nur um Eishockey. Gemeinsam mit Leger besinnt er sich auf alte Einsätze zurück. „Faschingsdienstag? Da warma doch in Schwenningen, wos so knapp verloren ham. 1:2 wars, glab i.“ Fischer, eine Art Eishockey-Wikipedia in Fleisch und Blut, kann sich an jedes Datum, jedes Ergebnis, ja jedes Tor noch genau erinnern.
Wer seine Spielvorbereitung beobachtet, weiß warum. Noch eine Stunde bis zum ersten Bully. Die Technik, ein Regler, Kopfhörer und ein beeindruckender Kabelberg, hat Fischer schon aus seinem schwarzen Hartplastikkoffer mit dem ERCI-Sticker darauf gekramt und an seinem Presseplatz weit oben in den Rängen des Augsburger Stadions installiert. Jetzt sitzt Fischer im Presseraum, einem grauen Kasten mit grellem Licht und modernen Lederstühlen. „Lässt zu wünschen übrig, der Service“, murrt er. Kein Kaffee. Keine Wurstsemmel. Fischer grapscht eine Wasserflasche und brütet über einem Wust aus Fachzeitschriften. Er lugt über den Rand seiner Brille, kritzelt, blättert und markiert Aufstellungen und Statistiken in verschiedenen Farben. Am Vorabend hat er bereits mit fein säuberlicher Schrift einen Vorbericht geschrieben, als Gedankenstütze.
Noch sieben Minuten bis zum Anpfiff. Die graue Betonhalle mit ihren niedrigen Decken und den weitläufigen Fankurven ist mittlerweile bis auf den letzten Platz gefüllt und für den Einlauf der Spieler abgedunkelt. Wie die Ölsardinen haben sich die Fans beider Mannschaften in ihre Blöcke gequetscht, sorgen mit ihren über 6000 Kehlen für ohrenbetäubenden Lärm und üben sich in verbaler Kriegsführung. „Schanzer Schweine!“ - „Asozialer Augsburger EV!“ Fischer auf den Presserängen kriegt davon wenig mit. Per Kopfhörer ist er mit Benedikt Zipperer im Radiostudio verbunden. Wenn nicht gerade die Nachrichten laufen, trällern Queen, Abba und Madonna ihre Welthits in Fischers Ohrmuscheln. Alle zehn Minuten wird er dazwischen exklusiv berichten. Nach einem letzten Blick auf seine Notizen setzt der Reporter zur ersten Liveschalte aus Augsburg an, ohne auch nur einmal auf seine Papiere zu schauen.
19.30 Uhr: Das Spiel beginnt. Schnell liegt der ERCI mit 0:2 zurück. Fischer spitzt seinen Mund, glotzt etwas bedröppelt und kneift seine Augenbrauen zusammen. „Der Kader stimmt hinten und vorn ned. Des pfeifen die Rohrspatzen in ganz Ingolstadt vom Dach“, motzt er ins Mikrofon. Doch dann kommt Alex Bartas 1:2, Cyndi Lauper, und sogar der Ausgleich: Ein Spielerknäuel kämpft vor dem Tor um die Scheibe. „Die Panther schaffens nicht. Wieder nicht.“ Plötzlich liegt der Puck im Tor. „Jetzt doch. TOOR, TOOR, TOOR!“, brüllt Fischer, in der linken Hand seine mittlerweile zweite Wurstsemmel. Der Service hatte in der Drittelpause dann doch Erbarmen gehabt. Als hätte es Tina Turner heraufbeschworen, röhrt passend zum Treffer kurz darauf „It’s simply the best“ aus Fischers Ohrmuscheln. Sein Schmollmund hat sich zu einem breiten Grinsen verzogen. Er spricht hastig, leidenschaftlich, rollt das „r“ und lallt das „l“. Ihn zu verstehen und den Überblick zu behalten, ist für Nicht-Bayern und Eishockeylaien kein unbedingt leichtes Unterfangen. „TOOO-, uh na. Den hab i drin gsehn.“ Der Puck knallt an die Latte.
Am Ende gewinnen die Panther mit 4:2. Nach einer heimlichen Siegerfaust stopft Fischer hektisch Regler, Kabel und Kopfhörer in seinen Koffer und schiebt sich zielgerichtet durch die Fans, die aus dem Stadion strömen, in Richtung des Gästeblocks, in dem die Pantheranhänger im Siegestaumel wild hüpfen. Ein Händeschütteln hier, ein Tätscheln da. Wie schon bei der Abfahrt zum Spiel: Fischer kennt jeden und jeder kennt Fischer. Mit seinem rotbeplüschten Mikro fängt der Reporter Stimmen der Fans und Spieler ein. Dann hetzt er durch die grauen Katakomben des Stadions zur Pressekonferenz. Er lauscht den Worten der beiden Trainer, lächelt dabei verschmitzt, kaut auf seinem Finger herum und wirft noch einen gierigen Blick auf den Brotkorb. Die Wurstsemmeln sind schon alle weggeräumt.
Morgen Heimspiel: Am morgigen Sonntag, 16.30 Uhr, empfängt der ERC Ingolstadt im ersten Spiel des neuen Jahres die Augsburger Panther. Die Fuggerstädter haben im Kampf um Rang zehn derzeit einen Punkt Vorsprung auf den ERC.
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