Von zweiten Chancen
Nach dem Riesenerfolg von „Geschichten aus dem Grandhotel“ stellen Studenten einen neuen Band mit Comics vor
Am Comic-Tag wurde in der Stadtbücherei die neue Publikation der Fakultät für Gestaltung der Hochschule vorgestellt: „Strichnin“, Band 6. Werbung brauchen die Studierenden und ihr Lehrer, Studiendekan Prof. Mike Loos, gar nicht mehr unbedingt. Vor wenigen Wochen erst ging ihr Comicband „Geschichten aus dem Grandhotel“ durch die Medien. In diesem Sonderprojekt der Fakultät wurden Berichte von Asylbewerbern verarbeitet. In gut einer Woche werden diese Arbeiten in einer Ausstellung beim Internationalen Comic Salon in Erlangen gewürdigt. Das neue „Strichnin“ mit dem Rahmenthema „Die zweite Chance“ wird, verglichen damit, in bescheidenem Rahmen präsentiert.
Marthe Negele ist darin mit dem Beitrag „Mangelware“ vertreten. Die Transsexuelle, die früher Martin hieß, hat andeutungsweise ihr eigenes Leben verarbeitet, indem sie den Blick auf ein Spielzeug lenkt, das nicht mehr gebraucht wird und dann in neuer Gestalt eine neue Aufgabe übernimmt. Negele hat auch sich selbst gefragt, wozu sie auf der Welt ist, und für sich die Antwort gefunden: „Ich will sie zu einem schöneren Ort machen; ich verschönere die Welt durchs Zeichnen.“
Elisabeth Raedler hat das vorgegebene Thema ganz weit gefasst. Sie denkt in ihrem Beitrag „Selbstgespräch“ über das Medium Comic selbst nach. Sprechblasen werden bei ihr zu Figuren, die nach Freiheit streben – oder auch nicht. Raedler sieht sich mal als zweckgebundene Designerin, mal als eher von allen Zwängen befreite Künstlerin und wundert sich, dass ihr Comic so abstrakt geworden ist. Das scheint aber ihrem Wesen zu entsprechen. Sie überlegt derzeit, nach ihrem Abschluss weiter zu studieren, und zwar Mathematik und Philosophie.
„Strichnin“ geht gut weg an diesem Tag, Katharina Netolitzky hat sich den druckfrischen Band soeben zugelegt. Sie sagt: „Die Qualität von Zeichnungen und Storys war bei dieser Reihe immer sehr hoch.“ Sie kann das einschätzen, denn sie hat im vergangenen Jahr zusammen mit zwei Freundinnen selbst einen Comic herausgegeben: „Guppys im Bauch“, eine märchenhafte Liebesgeschichte unter Wasser.
Loos leidet, wie er gesteht, im Moment unter „mentaler Müdigkeit“. Die Mühen von Organisation und Gestaltung zweier Comicbände bis zum Druck, kurz hintereinander, und die Vorbereitung der Erlanger Ausstellung haben ihn mitgenommen. Aber der Erfolg des „Grandhotel“-Comics macht ihn auch stolz. Der Wißner-Verlag hat nach seinen Worten die erste Auflage von 2000 Exemplaren bereits restlos verkauft und schiebt jetzt eine zweite Auflage nach, ohne Sorge, ob er sie rasch absetzen kann. „Strichnin“ sei immer ein Sammelsurium sehr unterschiedlicher Beiträge. „Geschichten aus dem Grandhotel“ könne man dagegen in einem Stück durchlesen.
Angehenden Illustratoren und Werbegrafikern will Loos auch weiter eine Comic-Werkstatt anbieten. Aber so etwas wie „Strichnin“, wo den Teilnehmern ein relativ offenes Thema gestellt wird, soll es vorerst nicht mehr geben. Sein neues Projekt trägt den Titel „True Storys“. Statt um erfundene Geschichten geht es nun um Vorgefundenes: selbst Erlebtes, in der Zeitung Gelesenes oder in Geschichtsbüchern Recherchiertes. Und Loos denkt über eine andere Veröffentlichungsform nach, eher ein dünneres Heft. Studenten, die Erfahrung mit dem Medium Comic haben, könnten so ein Heft im Alleingang zeichnen.
76 Seiten, farbig, broschiert, 9 Euro. Bezug: www.comicwerkstatt-augsburg.de
Die Diskussion ist geschlossen.