Tag 3 auf dem Modular-Festival: Charisma, Funk und Spaß
Das Wetter hält am dritten Modular-Tag. Und auch sonst bietet das Musikprogramm des Festivals eine bunte Mischung - von Zaubertechno bis nachdenklichen Pop.
Spielertransfers zum hiesigen Bundesligisten bestimmen wochenlang die Überschriften, der spektakulärste Transfer der jüngsten Vergangenheit aber lief völlig unter dem Radar ab: Ceci wechselte aus Köln zur Augsburger Spielvereinigung Frequenzgarten, dem vielköpfigen, musikalischen Goldesel der Stadt. Ceci ist, um in der Fußballterminologie zu bleiben, absolute Allrounderin. Sie kann Lo-Fi, Solo-Akkustik und voll verstärkten, hellwachen Traumindiepop mit ihrem magischen Dreieck Simon Kerler, Jonas Horche und Nick Herrmann. „How long have I been dreaming“ heißt ihre erste EP, und am Sonntagnachmittag träumen alle dank ihrer dunklen, umarmenden Stimme zuerst für 30 Minuten während des Konzerts und dann einfach weiter.
***
Als Lucia im Kesselchen zu spielen beginnt, werden den Security-Kräften gerade massive Bulettenbrötchen geliefert. Lucias balladeske Popnummern sind so ziemlich das Gegenteil fetttriefender Sandwiche aus totem Tier: filigran, nachhaltig und gut für die Gesundheit.
***
„Das Magische entsteht im Unkontrollierbaren“, schrieb Lil.Lili ins Jahrbuch ihres Abschlussjahrgangs der Hogwarts School of Beats and Electricity. Ihr Haus ist Raverclaw, ihr Patronus ein Acid Smiley. Mit einem leisen „Wingardium Leviosa“ lässt sie aus ihren modularen Synthesizern magische Klangkreaturen in die Höhe schweben und aus ihrem Zauberstab sprüht melodischer, experimenteller Zaubertechno.
***
Der nächste Gast auf der Hauptbühne heißt "Gast" und kommt ein wenig zu früh – oder viele Stunden zu spät. Seine Gastgeschenke, ein Strauß kühler Industrialbeats und eine gute Flasche Grand-Cru-Wavegitarren hätten eher zum tiefschwarzen Nachtgewitterhimmel von Samstag gepasst oder zum violetten Abendhimmel von Sonntag. Aber die modulare Gastlichkeit gebietet: Man muss den Gast feiern, wie er kommt, und so geschieht es dann auch.
***
Gibt es ein cooleres Blechblasinstrument als die Trompete? Nein, daher ist es nur konsequent, dass Franzi Pschera eine in ihrer Band hat. Denn die ist ebenfalls cool, und zwar nicht unnahbar cool, sondern umfassend. Das Schlagzeug treibt, die Bassline tanzt, das Seawatch-Shirt zeigt der restriktiven europäischen Asylpolitik einen Finger, und es handelt sich dabei nicht um einen gereckten Daumen. Pschera hat Charisma, gute Songs und ist ein weiterer Beweis dafür, dass aus einer 300.000-Seelen-Stadt sehr viel gute Musik kommen kann.
***
JBS steht vermutlich für „Junge bekommt Sparkassenpreis“. Den Nachwuchspreis der Sparkasse Kreis Steinfurt hat Jan Schemmer nämlich schon in der Tasche. In selbiger hat er auch schnell die ersten Reihen vor der Bühne, beim großen Rest aber zünden die zuweilen recht belanglosen Deutschpopsongs mit Schlagertexten und einem Hauch Grönemeyer nicht so richtig. Durchgehendes Midtempo ist eben schwierig bei einer Crowd, die angesichts des nahenden Festivalendes nochmal so richtig Bock zum Durchdrehen hat. Einige gehen zu den Bässen des alten Hallo-Werner!-Bekannten Vöst und Tonlos VÖST, die anderen warten auf Alli Neumann.
***
Der Allgäuer Klangprofessor Daniel Maier ist vielleicht das beste Beispiel für die unglückliche Platzierung der Newcomer-Bühne im Gaskessel. Die ruhigen Momente seiner mit analogen Synthesizern und Digitalgeneratoren erzeugten Ambientkompositionen gehen im Geschrei der „Silent Disco“ am MAN-Stand nebenan völlig unter. Das ist dann in etwa so nervig, als würde der Typ neben dir im Kino ständig erzählen, wie der Film ausgeht, während er sich kiloweise Nachos mit Salsa in den Rachen schiebt.
***
Alli Neumann steigt aus einer Box, die ein wenig an die Verpackung einer Barbie erinnert. Dabei ist sie die absolute Antithese zur devoten Modepuppe, deren einzige Daseinsberechtigung es ist, neben einem Mann gut auszusehen und dabei schön brav die Klappe zu halten. Sie hat was zu sagen, mindestens so lange bis auch Maximilian Krah kapiert hat, dass Frauen nicht nur Mutterfiguren oder Sexobjekte sind. Verpackt in Alternative-Pop-Songs mit Druck und Funk und Spaß in den Backen. In Berlin ist es ja fast unmöglich, eine Wohnung zu finden, aber vielleicht bekommt sie mal ein Zimmer in Schloss Bellevue. Die Menschen am Gaskessel kämen sich wohl gut repräsentiert vor, denn sie fühlen Neumanns Musik und Texte. Modulamore eben.
***
Es ist 21 Uhr, die Schlagzeilen: Die Wartedauer auf eine Pizza entspricht einem Headlinerkonzert samt Aufbau und Soundcheck. Rosa Tutus stehen Frauen, Männern und allen dazwischen und außerhalb. Bierbechergeschirr zum Umhängen sieht immer so aus, als hätte man Grundschülern Brustbeutel umgehängt mit der Ermahnung, ja nicht die Buskarte zu verlieren. Und die Münchener Clear Coast sind eine richtig gute Band, deren sonnengetränkter Indiepop kurz die Seele erwärmt, bevor er von der hinterlistigen Gaskessel-Akkustik komplett zu Brei gestampft wird. Aber wenigstens kann man vor Ort nachempfinden, was die Menschen in Pfersee oder Gersthofen hören, wenn der Wind die letzten Klangfetzen gegen die Schrankwände in den Wohnzimmern wehen.
***
Die Klangphonics zelebrieren auf der Parkbühne mit Schlagzeug, Gitarre und Elektronik eine Hypnosetherapie aus Licht, Puls und Gesängen aus dem Über-Ich, während sich auf der Hauptbühne eine Band aus Hannover breit macht. Wer nun gleich Maschmayer, Gerhard Schröder und die Scorpions auf dem Schirm hat, sollte schnell den Kanal wechseln. Dort spielen Jeremias, die funky Discosongs dabei haben, aber vor allem jede Menge emotionalen, nachdenklichen Pop. Die Leute lieben es, denn es klingt ein wenig wie diese immer ein wenig lauter nagende Melancholie darüber, dass es bald vorbei ist und man dann wieder ein ganzes Jahr warten muss, bis der Modular-Wal am Eingang zu einer neuen Ausgabe grüßt. Jeremias' Album heißt „Wind & Anonymität“, gemeinsam mit dem feiernden Publikum wird es zu „Sturm & Kollektivität“. Und bis auf den jungen Mann, der von seinem Freund fürsorglich zur Toilette geführt wird, hat wirklich niemand Lust darauf, nach Hause zu gehen.
***
Muss auch noch niemand, denn da haben Slatec was dagegen. Ohne Roman Sladek wäre München eine überteuerte Stadt ohne Wohnraum und mit vielen SUVs. Mit Roman Sladek ist München eine überteuerte Stadt ohne Wohnraum und mit vielen SUVs und der heißesten Techno-Big Band des Planeten. Slatec sind im Prinzip eine Kammerversion der Jazzrausch Bigband, deutlich kleiner, gehen aber genauso ab. Der Mond steht direkt über der Parkbühne, Slatec laden zum letzten Rave der Nacht. Dann ergießen sich 9000 Menschen durch die Ausgänge und versickern in den Straßen der Stadt. Mit leicht fiependen Ohren, schmutzigen Schuhen und Lust auf nächstes Jahr. Modular, jedes Jahr, stimmt's, Benni Benson? Bis Juni 2025! Gute Nacht.
Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.
Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.
Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.