So fühlt sich das Autofahren der Zukunft an
Kemptener Forscher testen in einem Simulator autonomes Fahren. Sie nutzen Methoden, wie sie sonst nur Formel-1-Testfahrer kennen.
Es röhrt und wackelt, quietscht und scheppert: Wer im neuen Fahrsimulator der Hochschule Kempten sitzt, glaubt nach kurzer Zeit, mit einem richtigen Auto auf einer realen Straße unterwegs zu sein. Die neue Einrichtung ist „einmalig in Europa für die zivile Anwendung“, sagt Professor Bernhard Schick. Er ist Leiter des „Adrive Living Lab“ – also des Forschungslabors für Fahrerassistenzsysteme – der Hochschule Kempten.
Der Simulator suggeriert Fahren in Echtzeit
Die Bewegungsplattform des Fahrsimulators ist auf einem Querschlitten montiert. Acht Elektromotoren treiben die Konstruktion an. Dadurch werden alle Vor- und Rückwärtsbewegungen sowie die Rotationen simuliert, die auch in einem echten Fahrzeug vorkommen können. Die Zeitverzögerung zwischen einer Lenkbewegung oder dem Bremsen des Fahrers und der dadurch ausgelösten Veränderung auf der halbkreisförmigen sieben Meter breiten Videowand liegt unter zehn Millisekunden. „Das ist quasi Echtzeit“, erklärt Schick. Das fahrdynamische Verhalten des Simulators ermöglicht also ein natürliches Fahrerlebnis. Im „Adrive Living Lab“, das in Hallen des früheren Unternehmens Saurer Allma untergebracht ist, dominiert die englische Sprache. So heißt der neue Fahrsimulator eigentlich Advancend Vehicle Driving Simulator. Entwickelt wurde er vom US-Konzern AB Dynamics, einem weltweit agierenden Anbieter von Testsystemen für Fahrzeuge. Der Rennstall Williams setzt ähnliche Simulatoren in der Formel 1 ein.
Der neue Fahrsimulator in Kempten kostet drei Millionen Euro. Finanziert wird er in der Hauptsache durch AB Dynamics, Williams und andere Automobilhersteller. Die Unternehmen versprechen sich von der Arbeit der Kemptener Wissenschaftler, eigene Forschungskosten zu sparen und dennoch Zugriff auf die Testergebnisse zu haben.
Automatisiertes Fahren: Mensch steht trotzdem im Mittelpunkt
Simuliert werden können mit dem neuen Super-Gerät alle möglichen Fahrsituationen und die Auswirkungen durch Fahrerassistenzsysteme auf den Fahrer. Und zwar auf verschiedenen Routen. Das Living Lab hat dafür die Software zum Beispiel für Rennstrecken, für die Straßen in Großstädten wie Paris oder Tokio, und auch Strecken im Allgäu entwickelt: die A7 zwischen Dietmannsried und Füssen, die vierspurige B19 von Kempten nach Immenstadt oder die B308 am Großen Alpsee.
„Im Mittelpunkt unserer Forschung für das automatisierte Fahren steht der Mensch mit seinen emotionalen Bedürfnissen und dem Wunsch nach einem umfassenden Fahrerlebnis“, sagt Professor Schick. Davon überzeugt hat sich am Donnerstag auch der bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler. Er probierte den Fahrsimulator selbst aus. Und auch ein Profi, der Kemptener Rennfahrer Daniel Abt, testete gestern bei der offiziellen Inbetriebnahme den zukunftsträchtigen Fahrerlebnis-Platz. Da röhrte, wackelte, quietschte und schepperte es natürlich gehörig.
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