Beim Jazz muss es nicht immer Amerika sein
Wer die Augen schließt und wie im Blindtest hineinhört in diese neuen Alben, wird sich wundern: Jazz aus den USA? Nein, Musik von nicht weniger respektablen Musikern aus der Region.
Jazz ist Namedropping, manchmal sogar inflationärer als im oftmals gescholtenen Pop. Nach wie vor gilt: Alles, was aus dem gelobten einstigen Traumland Amerika kommt, ist authentisch, der Rest muss sich pausenlos des Vorwurfs erwehren, von vermeintlich großen Vorbildern abzukupfern. Früher gab es sogenannte Blindfold-Tests, bei denen nur die Musik zählte und keine Fotos oder Namen das Urteil beeinflussten. Mit zum Teil überraschenden Resultaten. Gleiches könnte auch bei drei Neuveröffentlichungen passieren, die in diesen Tagen von Jazzmusikern aus der Region auf den Markt kommen. USA? Oder vielleicht auch Augsburg, Kaufbeuren, Neuburg?
Jazz aus der Region: Er muss nicht immer aus den USA kommen
Wolfgang Lackerschmid kennen in der Fuggerstadt inzwischen sogar Klassikfans und Freunde der leichten Muse. Der renommierte Vibrafonist, der vor allem als Dauerpartner von Chet Baker und Attila Zoller internationale Bekanntheit erlangte, arbeitet derzeit offenbar still und heimlich an einer Imagekorrektur. Früher schien er die Grenze zum Easy Listening jederzeit im Blick zu haben, ohne sie dabei zu überschreiten, jetzt wagt er sich zunehmend in den verwilderten Garten der Improvisation.
Nach dem abenteuerlichen „Compositions For Melodic Percussion“ belegt dies einmal mehr „Never Stop Playing“ (Hipjazz), ein Dokument der Spontaneität und Unberechenbarkeit, eingespielt im März 2022 mit dem Schlagzeuger Samuel Dühsler – den er von der gemeinsamen Zusammenarbeit in der Band des Malerfürsten Markus Lüpertz kennt –, der Pianistin Myslaure Augustin und dem Bassisten Bänz Oester. Dabei versinken die vier in alten und neuen Themen Lackerschmids, improvisieren nach Herzenslust und entwickeln dabei eine faszinierende klangliche Fülle sowie eine prickelnde Melodik. Virtuosität und Kreativität auf höchstem Niveau.
Helmut Nieberle: Ein Konzert nur wenige Tage vor dem plötzlichen Tod
Helmut Nieberle galt als einer der besten Jazzgitarristen Europas. Der ganz große Erfolg blieb dem in Kaufbeuren geborenen, bescheidenen und charmanten Saitenvirtuosen jedoch bis zu seinem viel zu frühen Tod im Frühjahr 2020 mit nur 60 Jahren versagt. Dass nun seine Ehefrau Gabi auf „Niebs“ Hauslabel Bobtale Records ein Soloalbum mit Aufnahmen aus den Jahren 2001 bis 2020 zusammengestellt hat, ist eine überfällige Würdigung seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten, die er selbst zu Lebzeiten nicht mehr in Angriff nehmen konnte.
Und, ja: Bei einem Blindfold-Test würden hier viele eher auf Barney Kessel tippen als auf einen Gitarrero aus dem Schwäbischen, der später im oberpfälzischen Regensburg sein kleines Glück fand. „Solo Jazzguitar“ (Bobtale) ist ein wunderbares Erinnerungsstück in 15 Episoden, das Nieberle als Meister des Vermittelns unaufdringlicher Schönheiten, aber auch als feinsinnigen Komponisten zeigt. Sogar sein allerletztes Konzert am 2. Februar 2020 ist dabei.
Die Nachwuchs-Jazzer kommen aus unserer Region
Nachwuchsbands haben es erfahrungsgemäß noch schwerer als arrivierte Künstler. Nico Theo, das Quintett des Stuttgarter Saxofonisten Nico Theodossiadi, legt auf seinem aktuellen Album „Another Dance“ (www.nico-theo.com) geschickt weltmusikalische Spuren, die alle Titel durchziehen, diese erden und als Kontrapunkt zur intensiven Dynamik des kompakten Bandsounds wirken.
Das Quintett, das im Frühjahr den Jazzwettbewerb des bayerischen Jazzverbandes gewann, verkümmert nie zur One-Man-Show des Bandleaders. Vielmehr finden seine Kollegen, darunter auch der in Neuburg geborene, eigenwillige und interessante Gitarrist Simon Schneid, genügend Freiräume. Fünf Musiker, die durch ihr komplexes und ausgewogenes Klangbild überzeugen, das zwischen expressiven und balladesken Momenten geschickt dramaturgisch hin- und herwechselt. Typisch undeutsch.
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