Die Mutter aller Moderne-Museen erfindet sich neu
Erweiterungsbau, schnelle Rotation, frische Konzepte: New Yorks Museum of Modern Art hat einiges vor. Das wird Auswirkungen auch andernorts haben.
New York-Reisende müssen zur Zeit auf eine Attraktion verzichten. Mitte Juni wurde das Museum of Modern Art (MoMA), die 1929 von Alfred H. Barr Jr. gegründete Mutter aller Museen für zeitgenössische Kunst, für knapp vier Monate geschlossen, um dann am 21. Oktober mit rund 3700 Quadratmeter zusätzlicher Ausstellungsfläche und einem runderneuerten Ausstellungs- und Vermittlungskonzept wiederzueröffnen. MoMA-Direktor Glenn D. Lowry, Chef-Kurator Christophe Cherix und Wendy Woon, die stellvertretende Leiterin der an diesem Haus besonders wichtigen Museumspädagogik, stellten jetzt in Berlin die Pläne für den Neubau und die zukünftige Ausrichtung des Hauses vor. Und die ist durchaus revolutionär.
Lowry und sein Team haben fünf Jahre intensiver Planungen und Diskussionen hinter sich. Was sie jetzt der Öffentlichkeit vorstellten, dürfte richtungweisend auch für andere Häuser rund um den Globus sein. Das MoMA hat den Mut, seine bisherige Ausstellungspraxis, die weitgehend einer Kanonisierung bestimmter Provenienzen, Medien und Künstlerbewegungen gleichkommt, radikal infrage zu stellen. Über die Jahre habe man den Anschluss an aktuelle Entwicklungen verloren, so Lowry und Cherix. Die Präsentation der Sammlung sei zu linear und eindimensional geworden. Eine rigorose Aufteilung nur nach einzelnen Medien wie Malerei oder Skulptur entspreche eher dem Zeitgeist der 1970er und 1980er Jahre.
Das Museum of Modern Art setzt auf "Quick Rotation"
In Zukunft wird es also verstärkt multidisziplinäre und medienübergreifende Präsentationen geben. Gemälde, Fotografien, Filme, Objekte, Design, Architekturmodelle und Sounds einer Epoche sollen stärker kontextualisiert, Querverbindungen etwa zwischen Film und Architektur präziser kuratorisch herausgearbeitet werden. Experimentellere Kunstformen wie Performance und sogar die Ästhetik von Computerspielen sollen ebenfalls vermehrt berücksichtigt werden. Zudem soll im Sinne einer sogenannten „Quick Rotation“ jedes halbe Jahr ein Drittel der gezeigten Bestände ausgetauscht werden, sodass es alle anderthalb Jahre zu einer vollkommen neuen Sammlungspräsentation kommt. Lediglich 15 bis 20 Hauptwerke aus der Sammlung, darunter der Publikumsliebling „Sternennacht“ von Vincent van Gogh, aber sicherlich auch Werke von Picasso, Gauguin, Matisse, Warhol oder Lichtenstein werden permanent zu sehen sein.
Mit dieser beschleunigten Rotation, die auch dafür sorgen soll, dass mehr Werke von Künstlerinnen, Farbigen, Latinos und Künstlern mit asiatischem Background gezeigt werden, reagiert das Museum allerdings auch auf externe Kritik an seiner über viele Jahrzehnte eurozentristisch ausgerichteten Auffassung von Kunstgeschichte. Holland Cotter, Pulitzer-Preisträger und einflussreicher Kunstkritiker der New York Times, schrieb etwa vor zwei Jahren in einer Besprechung der Ausstellung „Making Space: Women Artists and Postwar Abstraction“: „Es ist an der Zeit, den weißen Kerlen etwas Ruhe zu gönnen. Sie sehen müde aus. Und der Zeitpunkt dafür ist jetzt sehr günstig. Das MoMA erweitert sich; und die einzige moralische Rechtfertigung dafür besteht für mich darin, endlich einmal Kunst zu zeigen, die vorher nicht zu sehen war, und auf diese Weise an einer breiter aufgestellten, wahrhaftigeren Erzählung mitzuschreiben, die es dann vielleicht wirklich verdient, als ,großartig’ bezeichnet zu werden.“
Was die inhaltliche Ausrichtung angeht, scheint man Holland Cotters Kritik ernst zu nehmen. Doch wie sieht das neue architektonische Konzept aus? Das MoMA öffnet sich gegenüber seiner städtischen Umgebung in Midtown Manhattan. Viele Räume, darunter der bei New Yorkern und ihren Besuchern so beliebte MoMA-Shop, werden in Zukunft auch vom Bürgersteig aus einsehbar sein. Aber auch die neuen Museumsräume lassen Blicke nach draußen zu. Diese sogenannten „City Windows“ sind allerdings nur eines der zahlreichen neuen Features, die die Pläne des auf Kulturbauten in aller Welt spezialisierten New Yorker Architekturbüros Diller, Scofidio + Renfro kennzeichnen, die erst im April das spektakuläre neue New Yorker Kulturzentrum „The Shed“ eröffneten.
Die kostenlosen Online-Kurse kommen bestens an
Mehrere Räume werden neu geschaffen. Mit der „Paula and James Crown Platform“ etwa will das MoMA einen neuen Ort für Austausch und experimentelle Vermittlungsformen schaffen. Hier sollen Museumsbesucher zum Beispiel unter Anleitung Zeichnen üben können. „Es gefällt den Leuten, wenn sie sich auf ganz verschiedene Art und Weise ausdrücken können“, sagt Wendy Woon vom MoMA. Klassische Ausstellungsführungen und Audiotouren werde es aber weiterhin geben. Doch „Education at MoMA“ findet hier schon länger nicht mehr nur direkt vor Ort statt. Mehr als 630000 Menschen rund um den Globus nehmen jedes Jahr an den vom MoMA kostenlos angebotenen Online-Kursen teil.
Es tut sich also einiges am MoMA, was durchaus auch Vorbildcharakter für die deutsche Museumslandschaft haben könnte. Der innovationsfreudige Glenn D. Lowry, Jahrgang 1952, der seinen Vertrag gerade bis 2025 verlängert hat, ist aber Realist genug, um die aktuellen Erneuerungspläne nicht absolut zu setzen: „Eines ist uns aber klar: Was wir heute machen, wird sicherlich von anderen Kuratoren in zehn Jahren wieder ganz anders gehandhabt werden.“
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