Mehr Raum für Frauen unter den Palmen von Cannes
Drei Beiträge von Regisseurinnen laufen bei den Filmfestspielen in Cannes– ein Fortschritt. Die Eröffnung fällt allerdings schwach aus.
„Frauen zeigen in Cannes ihr Gesicht, Männer ihre Filme“, so klagten vor drei Jahren renommierte Regisseurinnen über den chronisch exklusiven Herrenklub von Cannes. Nur ein einziges Mal (1993) stand mit Jane Campion und ihrem „Piano“ eine Frau auf dem Siegertreppchen. Nicht minder kläglich fällt die Statistik beim Eröffnungstanz aus, der bislang lediglich Diane Kurys mit „Un homme amoureux“ (1987) gewährt wurde. Bei der 68. Ausgabe des weltweit wichtigsten Filmfestivals sieht die Frauenquote etwas besser aus. Drei Regisseurinnen sind im Wettbewerb vertreten.
Auftakt machte Bercot mit ihrem Sozialdrama
Den Auftakt machte außer Konkurrenz am Mittwoch die 47-jährige Französin Emmanuelle Bercot mit dem Sozialdrama „La Tête haute“. Doch wie auf der Berlinale war die Emanzipationsoffensive zur Eröffnung kein Glücksgriff. Die Geschichte um eine engagierte Jugendrichterin, die einen jungen Kriminellen auf den rechten Weg bringen will, entpuppt sich als biederes Betroffenheitskino, das knietief in Klischees daherkommt. Die überforderte Mutter wirkt wie die grelle Karikatur einer Fernseh-Reality-Show.
Den Sozialarbeitern ergeht es kaum besser. Der eine hadert mit seiner schweren Kindheit und schlägt schon mal zu. Seine Kollegin verliert ihre Teeanger-Tochter an den rabiaten Schutzbefohlenen, der diese obendrein schwängert. Derart stereotyp lässt sich das Thema Jugendgewalt nicht überzeugend darstellen, das macht jeder „Tatort“ besser. Selbst die Deneuve bleibt als Richterin mit Mutterinstinkten eindimensional. Immerhin sorgt sie für den notwendigen Glamour-Faktor auf dem Roten Teppich.
Garrone mit dem Märchen "Tale of Tales"
Kaum besser erging es dem als Favoriten gesetzten Italiener Matteo Garrone, der nach seinen Mafia-Dramen sich nun märchenhaft gibt und mit „Tale of Tales“ die Erzählungen von Giambattista Basile, Europas erstem großen Märchenerzähler adaptiert. Die Erwartungen waren enorm, versprach Festival-Leiter Thierry Frémaux doch einen Bilderzauber à la Fellini. Vor allem das entpuppte sich als Märchen, denn von Magie ist in dem einfallslosen Mummenschanz erschreckend wenig zu spüren. Jede TV-Verfilmung bietet mehr Charme und Seele als die öde Kostümparade.
Zwei Flops zum Auftakt, da bietet nur das sonnige Wetter Trost. Immerhin gibt es noch Hoffnungsträger. „Palmen“-Besitzer Nanni Moretti schildert in „Mia Madre“ das Drama eines Regisseurs, der mit der tödlichen Krankheit seiner Mutter konfrontiert wird. Sein Landsmann und Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino schickt in „Youth“ zwei Senioren in die Berge, wo sie über die Jugend sinnieren – zur Starbesetzung zählen Michael Caine, Harvey Keitel und Jane Fonda.
Isabelle Huppert und Gérard Depardieu spielen im „Tal der Liebe“ ein Paar
An Liebe herrscht kein Mangel. Regisseurin Maïwenn präsentiert mit „Mon Roi“ eine Amour-fou-Geschichte, Isabelle Huppert und Gérard Depardieu geben im „Tal der Liebe“ ein Paar, das nach dem Tod ihres Sohnes wieder zusammenfindet, und Todd Haynes lässt Cate Blanchett und Rooney Mara als lesbisches Paar in seiner Patricia-Highsmith-Verfilmung „Carol“ auftreten. Das amouröse Thema auf die surreale Spitze treibt der Grieche Giorgos Lanthimos mit „The Lobster“. Singles müssen darin binnen 45 Tagen einen Partner finden, sonst verwandeln sie sich in wilde Tiere.
Bei so viel Amore darf Woody Allen nicht fehlen. In seinem „Irrational Man“ verliebt sich ein Philosophie-Professor in eine junge Studentin. Wie üblich läuft der Film des Altmeisters außer Konkurrenz. Auch „Love“, das neueste Werk des Skandalfilmers Gaspar Noé, startet außerhalb des Wettbewerbs. Die Dreiecksgeschichte, die reichlich freizügige Sex-Szenen verspricht, wird werbewirksam erst um Mitternacht gezeigt – ein klassischer Coup à la Cannes.
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