Biograf über Louis Armstrong: "Entertainer par excellence"
Als einer der ersten Afroamerikaner brachte es der Jazztrompeter zu weltweiter Bekanntheit. Doch er wurde auch kritisiert. Zu Unrecht, sagt Jazz-Experte Wolfram Knauer.
Zwei Bilder von Louis Armstrong haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: das eines Jazzmusikers und in seinen späten Jahren das eines Popstars. Welches ist das richtige?
Wolfram Knauer: Louis Armstrong war weit mehr als bloß ein Jazzmusiker. Bei ihm handelte es sich um einen der ersten weltweit bekannten afroamerikanischen Stars; ein Entertainer par excellence, unglaublich publikumsorientiert. Seine Authentizität muss man als einzigartig bezeichnen. Er verstellte sich nicht, war keine Kunstfigur, sondern war auf der Bühne einfach nur Louis Armstrong.
Traf er ganz bewusst diese Entscheidung, ein Entertainer und Showstar, eine Berühmtheit zu sein?
Knauer: Nicht zu vergessen Musiker! Das war ihm stets wichtig. Bei Armstrong handelte es sich um einen begnadeten Selbstdarsteller, eine Rampensau gewissermaßen. Er ist da quasi reingerutscht, es hat sich bei seinen Auftritten einfach so ergeben. Denn er liebte einfach die Bühne und das Scheinwerferlicht. Aber der Unterschied zu den meisten anderen Kollegen lag darin, dass er nicht nur für die erste Reihe spielte, sondern auch für die letzte. Mir fällt ein Film von einem Konzert in Kopenhagen 1933 ein, in dem er mit seinem breiten Lächeln, seinen weißen Zähnen und seinem weißen Taschentuch hantierte. Da erst wurde mir bewusst, dass dies alles Instrumente waren, mit denen man ihn auch in der letzten Reihe erkennen konnte.
Trompeter oder Sänger – was war er tatsächlich?
Knauer: Alles, was er tat, kann man auf einen Nenner bringen: Er war einfach Louis Armstrong! Er machte nie einen Unterschied zwischen dem Showstar, dem Trompeter und dem Sänger Armstrong. Er sang stets so, wie er Trompete spielte, und er spielte Trompete wie er sang. Früher wie heute trennen wir den Künstler häufig vom Unterhalter. Dabei vergessen wir, dass dies gerade im Jazz, in der afroamerikanischen Tradition von jeher eng miteinander verbunden war. Dort gab es stets dieselben Rituale, ob im Jazzclub, in der Kirche oder in einem großen Konzert. Durch dieses Call-and-Response, das Ruf-Antwort-Verhältnis, sollte grundsätzlich das Publikum mit einbezogen werden. Armstrong beherrschte dies meisterhaft.
Sein größter kommerzieller Hit hieß „What A Wonderful World“. Ein etwas kitschiger Popsong, der noch heute gecovert wird, der ihm aber auch viel Kritik einbrachte.
Knauer: Die Idee, „What A Wonderful World“ aufzunehmen, stammte von dem Produzenten Bob Thiele. Er wusste, dass Armstrong ein Publikum weit über den kleinen Jazzhorizont hinaus erreichen konnte und dass sich seine Stimme gut verkaufen ließ. Das Stück passte auch in die damalige Zeit: 1967 war ein konfliktreiches Jahr nach den Morden an John F. Kennedy und Martin Luther King, den Rassenunruhen und dem Vietnam-Krieg. Thiele wollte ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung setzen. In Amerika fiel der Song anfangs durch, nur in Großbritannien spielten ihn vereinzelt die Radiosender, bis er irgendwann sogar die Beatles überflügelte. Wie vieles andere in seinem Repertoire, das in Richtung Country-Western, Pop oder seichte Easy-Listening-Musik ging, war das natürlich kein Jazz. Aber auch damit kam er sehr authentisch rüber. Er verstand es, sich jede Musik anzueignen, sodass sie am Schluss immer ein Stück von Louis Armstrong war.
Die Black Community warf ihm vor, mit seinem Verhalten und seiner Musik das Onkel-Tom-Klischee der Weißen zu bedienen.
Knauer: Das stimmt. Aber Amiri Baraka, einer der wichtigsten Wortführer des schwarzen Amerikas in den 1960er Jahren, Dichter, Schriftsteller, Musikkritiker und früher einer der schärfsten Kritiker Satchmos, gab lange nach seinem Tod zu, ihm Unrecht getan zu haben. Er habe erkannt, dass Armstrong schon seit den 20er, 30er Jahren Entscheidendes dazu beigetragen habe, dem weißen Amerika einen wichtigen Teil der afroamerikanischen Ästhetik zu vermitteln. Das Handeln Armstrongs hatte überhaupt nichts mit Onkel-Tom-Mentalität zu tun, sondern war fast schon eine subversive Aktion, mit der er die afroamerikanische Kultur nach und nach in den Mittelpunkt des 20. Jahrhunderts rückte. Ohne sein Zutun hätten James Brown, Michael Jackson oder Prince, schlicht die gesamte Popmusik, anders geklungen.
In der Hochphase des Kalten Krieges unternahm Armstrong 1965 sogar eine Tournee durch die damalige DDR. Statt einer Gage gab es Teleskope von Carl Zeiss, angeblich auch Waffen und Antiquitäten. Warum tat er das?
Knauer: Er wurde damals einfach engagiert. Allerdings war ihm durchaus bewusst, dass seine Konzerte eine friedenstiftende Wirkung besaßen. Außerdem nahm er es in Kauf, dass das amerikanische Außenministerium in ihm eine Art Botschafter für die Werte der Demokratie sah. Politisch vereinnahmen ließ er sich jedoch nie, weder von der einen, noch von der anderen Seite. Sein Credo lautete stets, die Menschen glücklich zu machen. Klingt auf den ersten Eindruck unpolitisch. Allerdings könnte man es genauso gut als hochpolitisches Motiv sehen, wenn ein Afroamerikaner hinter den Eisernen Vorhang fährt und dort größtenteils ausverkaufte Konzerte vor einem begeisterten Publikum gibt. Ein Vertreter des Klassenfeindes! Er schenkte den Besuchern seiner Konzerte Vergnügen, Freude und für kurze Zeit ein Stückchen Freiheit.
Was fasziniert Sie persönlich an Louis Armstrong?
Knauer: Seine unglaubliche Hingabe, und das bis zum Ende seines Lebens. Ich bewundere seinen unbändigen Spaß an der Musik, der selbst in Aufnahmen zum Vorschein kommt, die ich persönlich für nicht so gelungen halte. Alles kam bei ihm relativ unmittelbar und direkt. Er spielte zu jeder Zeit das, was er gerade spielen musste, ob in seinen ersten Aufnahmen mit der King Oliver’s Creole Jazz Band im „Chimes Blues“ und in „Froggie Moore“, mit Oscar Peterson oder Ella Fitzgerald, mit seinem Swing-Orchester der 30er Jahre, seinen Allstars, in „Hello Dolly“ oder eben in „What A Wonderful World“.
Hätte der Mann heute eine Chance im Zeitalter von Streaming, Downloads und virtueller Dauerpräsenz?
Knauer: Schwer zu sagen. Louis Armstrong veränderte zwar hin und wieder ein klein wenig seinen Stil. Aber im Prinzip klang er stets wie er selbst, und das galt schon zu Lebzeiten ein bisschen antiquiert. Ich glaube aber fest daran, dass man selbst heute noch solch ehrlichen Künstlern allerhöchsten Respekt zollen würde.
Zur Person Wolfram Knauer, geboren 1958, ist Musikwissenschaftler, Jazzforscher und Direktor des Jazzinstitutes Darmstadt seit dessen Gründung 1990. Er hat eine Reihe von Biografien über Jazzmusiker wie etwa Charlie Parker oder Duke Ellington veröffentlicht. Sein jüngstes Werk trägt den Titel „Black and Blue. Louis Armstrong – Sein Leben und seine Musik“ und ist anlässlich des 50. Todestages des Sängers und Trompeters am 6. Juli und des 120. Geburtstages (4. August) im Reclam-Verlag erschienen.
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