John Burnsides Scheherazade
Lebenspoet mit harter Amerika-Kunde
Einen seltsamen Deal bietet die alte Jean der jungen Kate an: Ihre Familiengeschichte gegen deren Alkoholabstinenz. Denn Kate hat Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters hat sie ihr Studium geschmissen und lebt in einer schwierigen Beziehung mit dem exzentrischen Lauritz. Dass Kate sich auf den Deal einlässt, ist ein erster Schritt in ein neues Leben.
John Burnside erzählt in dieser neuen Scheherazade-Adaption kein Märchen, sondern mit Jeans Familiensaga (eine verlorene Geliebte, der Neffe im Krieg verschollen, die Nichte im revolutionären Untergrund) auch die Geschichte Amerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und vor allem: die verstörenden Tiefpunkte wie das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg, die Kommunisten-Hatz der McCarthy- Ära und die bombenden Weathermen.
Im engen Austausch mit Jean gewinnt Kates Leben wieder eigene Konturen. Wie ihr Freund Lauritz hatte sie mehr in einer Inszenierung als in der Realität gelebt. Es geht um viel in diesem meisterhaft geschriebenen Roman: um Identität und Idealismus, um Liebe und Engagement. Vor allem aber geht es um die Macht der Erzählung und die erlösende Kraft des Zuhörens.
John Burnside liefert keine Gewissheiten, er lässt den Lesern viele Freiräume, die sie mit ihrer eigenen Fantasie füllen können. (li)
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