Mann aus Stahl: Richard Serra wird 70
New York (dpa) - Richard Serra hat das Publikum oft verstört. In Bochum platzierte der US-Bildhauer sein riesiges Stahlmonument "Terminal" 1979 so auf einer Verkehrsinsel, dass die Straßenbahnen nur ganz knapp daran vorbeikamen.
Bei der documenta 8 verwandelte er 1987 die Kasseler Fußgängerzone in eine stählerne Sackgasse. Und in New York ging der Protest so weit, dass eines Nachts Unbekannte ein Plakat "Kill Serra" auf seine Skulptur klebten.
Inzwischen ist der streitbare Künstler alt genug geworden, um zu erleben, dass ihm einhelliges Lob zuteil wird. Am Montag (2. November) feiert er seinen 70. Geburtstag und gilt mit seinen gewaltigen, gleichwohl fast schwebend wirkenden Stahlskulpturen als einer der wichtigsten Bildhauer der Gegenwart. "Ich habe einen gewissen Eigensinn, eine gewisse Hartnäckigkeit, die mich in Schwierigkeiten gebracht, mir aber auch immer wieder herausgeholfen hat", sagte er einmal.
Für besonderes Aufsehen sorgte 1998 der Rückzug des jüdisch-stämmigen Künstlers aus dem Wettbewerb um das Berliner Holocaust-Mahnmal. Nachdem sein gemeinsam mit dem amerikanischen Architekten Peter Eisenman konzipierter Entwurf mit zunächst 4000 Stelen noch einmal überarbeitet werden sollte, kündigte Serra überraschend seine Mitarbeit auf.
Das 2005 eröffnete Denkmal in der Nähe der einstigen Reichskanzlei Adolf Hitlers entstand nach dem sogenannten Eisenman-II-Entwurf ohne ihn. Das Projekt sei zur "Persiflage" geworden, sagte Serra später. Er glaube nicht, dass man dem Holocaust mit Bildhaftigkeit und Symbolen beikommen könne. "Die Leute wollen nicht durch ein riesiges Monument vor ihrer Nase tagtäglich an ihre Schuld erinnert werden, sechs Millionen europäische Juden ermordet zu haben."
Serras Beziehung zu Deutschland blieb gleichwohl eng - die meisten seiner Skulpturen werden in deutschen Industriehallen produziert, häufig im nordrhein-westfälischen Siegen. Denn der Künstler ist, wie er selbst sagt, ein "Modellbauer". In seinem Haus in New York, wo er mit seiner Frau Clara lebt, oder in seinem Atelier auf der kanadischen Insel Cape Breton bastelt er aus biegsamem Bleiblech im Verhältnis 1:12 die Modelle, die nach einer aufwendigen Computerberechnung und Umsetzung schließlich auf öffentlichen Plätzen in aller Welt stehen.
Sein wohl bekanntestes Werk ist die raumgreifende Installation "The Matter of Time" aus sieben gigantischen Stahlskulpturen im Guggenheim Museum im spanischen Bilbao. Sie gilt als einer der größten und mit 20 Millionen US-Dollar (13 Millionen Euro) auch teuersten Aufträge in der Geschichte der modernen Bildhauerei.
In den begehbaren Ellipsen, Spiralen und Schlangenformen hat Serra 2005 seine Idee von Form und Inhalt am vollkommensten umgesetzt. "Der Betrachter, der den Raum erforscht, wird zum Subjekt. Wenn Du nicht in das Werk hineingehst und dich mit ihm auseinandersetzt, hat es keinen Inhalt. Das Thema bist Du."
1939 als Sohn einer russisch-jüdischen Mutter und eines spanischen Vaters in San Francisco geboren, hatte Serra ab Mitte der 60er Jahre in New York zunächst mit Gummi und Blei experimentiert. Später legte er sich ausschließlich auf Stahl fest - ein Werkstoff, mit dem er als Arbeiter in einem Stahlwerk während seiner Studienzeit bereits Erfahrungen gesammelt hatte. Daneben setzte er sich mit Film und Video auseinander und legte ein umfangreiches grafisches Werk vor, das im vergangenen Jahr auch in Siegen zu sehen war.
In seiner Wahlheimat New York widmete 2007 das Museum of Modern Art (MoMA) dem berühmten Sohn eine umfassende Retrospektive - der drei Jahre zuvor eingeweihte Neubau der Hauses war eigens so geplant worden, dass die neuen Räume eine Hunderte von Tonnen schwere Serra-Show tragen können. Dass die Stadt seine 36 Meter lange, gigantische Skulptur "Tilted Arc" 1989 nach einem jahrelangen erbitterten Streit entfernen und verschrotten ließ, nimmt er ihr gleichwohl bis heute übel: "Ich glaube nicht, dass Kunst die Aufgabe hat zu gefallen."
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