Die Bühne in blauen Schimmer getaucht, hinten zwei Schubladentürme, links Bücherstapel, im Zentrum ein Himmelbett mit weißen, rot bespritzten Organza-Vorhängen. Rechts am Brunnen, direkt am Weg zur Zuschauertribünen, lehnt ein Mann. Schlafend, seine weißen Kleider auf Bauchhöhe ebenfalls rot besudelt. Über alles legt sich Nebel. Ein paar orientalisierende Requisiten fallen auf. Ornamentgitter vor den in nächtlichem Blau leuchtenden Fenstern und der wie ein seldschukisches Spitzportal geformte Brunnenaufbau.
Erst als sich die Zuschauer in der Brechtbühne sortiert haben, fällt die Figur ganz in Rot und Gesichtsschleier auf, die reglos auf einem der beiden Schubladenberge sitzt. Und die über Kopf von der Decke baumelnden, in Leichentücher gehüllten Körper. Ein großer Eisenring mit hunderten von Schlüsseln hängt ebenfalls dort, mit dem unteren Geschehen über eine Metallkette verbunden.
Brutal wie ein Thriller
Mystisch, unheimlich, grau und finster. So macht die Bühnenausstattung schon zu Beginn von „Das Spiel der Schahrazad“ klar: Trotz des Titels ist hier kein Abend in kuscheliger, orientalisch-verzauberter Märchenatmosphäre aus 1001 Nacht zu erwarten. Brutal wie ein Thriller zieht sich die Zerstörung dieser Illusion durch das Drama. Der Sklave ohne Zunge und Finger, in ein formloses graues Gewand gehüllt, führt die Jungfrau in Rot zum Bett und schließt langsam die vom Blut ihrer Vorgängerinnen bespritzten Vorhänge. Ohne Vorwarnung und erschreckend realistisch reißt König Schahriyar (Anatol Käbisch) ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigt sie. Der Sklave führt sie nach hinten, wickelt ihren toten Körper in Leichentücher und hievt sie zu den anderen sechs wie Kokons über der Bühne hängenden Opfern hoch.
In rasantem Tempo, bild- und wortgewaltig entfaltet sich die Persönlichkeit des Königs, der mit grausamen Ritualmorden das Vermächtnis seines Vaters fortführt. Die Mutter hatte angeblich den Vater betrogen, Schahriyar sühnt diese Tat, vergewaltigt und tötet jede Nacht eine Sklavin. Das präzise Spiel, wiederkehrende Erdbeben – ein „Atmen der Toten“, das bis in die Zuschauertribüne spürbar ist – und die Präsenz der Darsteller übertragen das Grauen, mit dem Schahriyar sein Volk terrorisiert. Doch er ist nicht nur Tyrann. Verzweifelt brüllt er seinen Wesir, den Sklaven und später auch die Tochter des Wesirs, Schahrazad (Linda Elsner), an, ihm endlich das dunkle Geheimnis zu verraten, das ihn an seine Grausamkeit und das Blutvergießen bindet. Niemand spricht, alle haben ihren Teil am Weiterbestehen des Systems.
Vor der Vergewaltigung retten
Schahrazad stellt sich freiwillig. Um sich vor der Vergewaltigung und dem Tod zu retten, erzählt die überlieferte Meisterin des Cliffhangers Nacht für Nacht nicht irgendwelche Geschichten, sondern die von Schahriyar und seinem Vater. So kommt heraus, dass letzterem zur Behandlung seiner Unfruchtbarkeit der Schädel geöffnet und ein anderer Mann zwecks Befruchtung ins Bett seiner Frau geschickt wurde. Die 1001. Nacht von Schahrazads Gefangenschaft bringt die überraschende Wende: Schahriyar erfährt eine Wahrheit, die ihn in noch tiefere Verzweiflung stürzt.
„Das Spiel der Schahrazad“ stammt von dem renommierten türkischen Autor Turgay Nar. Der Regisseur und Schauspieldozent Ferdi Degirmencioglu, in Augsburg durch seine Arbeit mit dem Theater Interkultur bekannt, übersetzte das Stück ins Deutsche und lieferte mit seinem Team auf der Brechtbühne eine mutige, hintersinnige und ergreifende Erstinszenierung ab. Dankenswerterweise öffnet das Stück wie auch das psychologisch überzeugende Spiel der Darsteller die klischeehafte Figur des orientalischen Despoten für westlich sozialisierte, trotzige Tyrannen unserer Zeit. Am Ende versöhnt die mystische, symbolhafte und verhalten orientalisierende Ästhetik im Bühnenbild und die klare Formensprache der Kostüme mit den zerstörten Illusionen von „1001 Nacht“.
18. und 22.5.,je19.30Uhr inderBrechtbühne.