Verrückt ist nicht bescheuert
Isabel Kott im Stadttheater in „Bilder einer großen Liebe“
„Verrückt sein heißt doch nur, dass man verrückt ist und nicht bescheuert“, so beginnt der Monolog der Isa nach der Geschichte „Bilder einer großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf (Tchick), vor dem Isabel Kott unter der Regie von Eos Schopohl auf die Bühne des Stadttheaters purzelt.
Der Schauspielerin, Geburtsjahr 1985, ausgezeichnet mit dem Bayerischen Kunstförderpreis 2019, gelingt es mit einzigartiger Schauspielkunst und nur ein paar Autoreifen und einer Plastikplane als Requisiten, alle Facetten der Gefühlswelt des pubertierenden Mädchens nicht nur darzustellen. Nein, sie ist Isa, in deren Psyche etwas verrückt zu sein scheint, der auch die Veränderungen ihrer Physis, das Blut, Angst machen, sie wollte lieber ein Junge sein, „denn als Mädchen hat man plötzlich einen Körper“.
Die reale und die fiktive Welt des Teenagers sind ineinander verwoben, Stimmen im Kopf und von außen begleiten Isa auf ihrem Weg aus einer geschlossenen Anstalt, aus der sie ausbrach und nun barfuß durch Kornfelder, Wälder, Flüsse und Dörfer unterwegs ist. In ihrem eigenen Kosmos kann sie mit dem rechten Daumennagel den Rand der Sonne berühren, sodass diese nicht mehr weiterwandert. Wenn sie es will, geht das große Eisentor der Anstalt auf, ein Lkw fährt durch und sie kann hinaushuschen. Sie trinkt brackiges Wasser aus Pfützen, in denen sich unzählige Sterne spiegeln, spürt die eisernen Zangen des Hungers in ihrem Inneren, schmeißt mit einem Stein ein Fenster beim Bäcker ein. Beim Erwachen in einem Bett aus Korn sitzt ein Weberknecht auf ihrer Schulter, sie fragt sich, worüber der nachdenkt, und was wäre, wenn ihr Leben nicht ihr Leben wäre.
Wie viele Leben wurden „in Erfüllung ihrer Pflicht“ ausgelöscht und wie viele Sterne leuchten im Weltall. Ihren philosophischen Betrachtungen schiebt sie ein stilles „Es ist einfach so, genau so!“ hinterher. Isa verzaubert die Zuhörer mit klaren Positionen, klugen, manchmal etwas chaotischen Gedankensprüngen, brillanter Sprachkunst, die, dynamisch umgesetzt in Mimik und Gestik, großartiges Theater ausmacht.
Sie schluckt eine Tablette, die in ihrer Hosentasche steckte, versucht vielleicht etwas in die Norm zu verrücken, findet sich auf einem imaginären Schiff, spielt Mundharmonika und stimmt mit zauberhaftem Sopran Matrosenlieder an. „Das Glück macht nie so glücklich, wie das Unglück unglücklich.“ Sie sieht ihren Vater, an den es einige diffuse Erinnerungen gibt, in einen Bus einsteigen, winkt ihm lange nach und überlegt. Der Abgrund zerrt an ihr, sie nimmt eine zweite Tablette und beschließt geheilt zu sein. Vor dem Hintergrund einer auf die Bühne projizierten großformatigen Landschaftsmalerei von Veit Relin tritt Isa ab, gefeiert und bewundert, mit nicht enden wollendem, begeisterten Applaus.
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